Wie aus Steinen Werkzeug wird

■ Experimentelle Archäologie und Wissenschaft zum Anfassen im Museum in Oldenburg / Ein Ausflug in die Steinzeit

Standort: Staatliches Museum für Naturkunde und Vorgeschichte zu Oldenburg. „Die Fladen sind schon fertig“. Mädchen und rotes Kleid fliegen uns begeistert entgegen. „Wer noch was abhaben will, muß sich beeilen hat der Mann gesagt“. Eine Gruppe neugieriger Besucher setzt sich Richtung Museumshof in Bewegung. Dort, so hat man gehört, demonstrieren Mitarbeiter des Museums parallel zu der Ausstellung „Experimentelle Archäologie in Deutschland“ Wissenschaft zum Anfassen. Auch wir folgen dem

verlockenden Geruch, lassen das jungsteinzeitliche Einbaum -Kanu und den Webstuhl aus der Eisenzeit links liegen, um schließlich vor der Quelle aller Düfte zu stehen - einem etwa 50 cm hohen Lehmhügel. Beim näheren Hinsehen und Nachfragen entpuppt sich das unförmige Gebilde als das Gerät, mit dem unsere Vorfahren aus grauer Jungsteinzeit Brot und Fladen buken. Dabei, so erklärt uns der Hobby -Archäologe Reiner Leihe mit leuchtenden Augen, sei kein Sauerteig und als Treibmittel lediglich Naturhefe ver

wendet worden. Während der Vorbereitungen zum Probebacken erfahren wir, daß der „prähistorische Brotofen“ in Wirklichkeit ein mit Lehm und Ton bestrichenes Rutengeflecht ist. Den Boden bildeten in längst vergangenen Zeiten Kiesel und andere Gesteine. Der Grund: Sie speichern besonders gut die Wärme für den Backvorgang. Nachdem der Ofen lange genug vorgeheizt wurde, werden die vorbereiteten rohen Fladen hineingelegt und die Ofenluke mit einem Holztürchen und Zeitungsresten abgedichtet.

Auf fragende Blicke erklärt Bäckermeister Leihe schmunzelnd: „Damals hat man, soweit wir heute wissen Moos, als Abdichtungsmittel benutzt. Aber das war gerade nicht greifbar“. Etwa eine halbe Stunde müssen wir noch warten, bis endlich würziger Brotgeruch die Luft erfüllt und wir vorsichtig die ersten Brocken probieren.

Gleich nebenan sitzt ein Student, umringt von ein paar dutzend Zuschauern, auf einem hellbrauen Tierfell im Stroh und unterrichtet in „direkter Schlag

technik“. Die müsse auf jeden Fall beherrscht werden, wenn man, wie die Menschen der End-Steinzeit vor 30.000 Jahren, Flintsteine, im Volksmund Feuersteine, bearbeiten wolle. Um ihn herum liegen die Ergebnisse derartiger Anstrengungen: „Jungsteinzeitliche“ Äxte, Dolche und Beile. Wie's gemacht wird demonstriert Marquard Lund auch gleich. Neben seiner Tätigkeit als experimenteller Steinklopfer, so erfahren wir später, studiert er die Geheimnisse des Altertums. In Niendorf an der Ostsee geboren, habe er sozusagen von Kindesbeinen an zwischen Feuersteinen gelebt. Diese Flintsteine hätten ihn schon immer fasziniert. „Mit 16 habe ich angefangen sie zu behämmern und umzuformen, habe mir alles selbst beigebracht. Erst später erfuhr ich, daß sich auch noch andere Leute damit befassen“. Während er erzählt hat er sich einen unförmigen grauen Klumpen her

ausgesucht. Mit wenigen gutplatzierten Schlägen werden die Ecken gestutzt und schwarzer glatter Stein kommt zum Vorschein. Eines der abgeschlagenen Teile, ein halbrundes Stück mit gezackten Kanten wird zum „Schaber“ umfunktioniert. „Damit haben die Leute früher Holz geschnitzt und Felle geschnitten“, erklärt unser Archäologiestudent einem kleinen Jungen, der sich sofort einen dieser Schaber schnappt und ein Stück Holz bearbeitet. Unterdessen schrumpft der Stein mehr und mehr zu einem schwarzen, scharfkantigen Keil zusammen. Weiteres Abfallprodukt ist eine „Stichel“, ein flacher Steinsplitter mit deren messerscharfer Kante früher Geweihe bearbeitet wurden. Als endlich aus dem groben Steinklumpen ein Beil geworden ist staunen die Zuschauer nicht schlecht. Es stellt sich heraus, daß man damit, bei fachgerechter Anwendung, tatsächlich Bäume fällen kann.

bz