„...dann konnten wir mit dem Aufbau weitermachen“

■ Erinnerungen eines Mitglieds einer Kampfgruppeneinheit an den 13. August 1961

INTERVIEW

Aus verständlichen Gründen haben gerade die Akteure des 13. August 1961 gewisse Hemmungen, ihre Erlebnisse und Gedanken jener Tage an die Öffentlichkeit zu bringen - die taz fand jedoch ein Mitglied einer Kampfgruppeneinheit aus jenen Tagen, das bereit war, über seinen Einsatz damals zu sprechen. Günter Drews (66, Name geändert) ist heute Rentner und lebt in Berlin.

taz: Herr Drews, seit wann waren Sie eigentlich Mitglied der „Kampfgruppen der Arbeiterklasse“?

Günter Drews: Seit ihrer Gründung im Jahre 1953.

Was waren Ihre Gründe für den Eintritt?

Wissen Sie, ich war seit 1948, als ich aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft kam, Genosse. Und als es zu dem Putschversuch vom 17. Juni '53 kam...

Putschversuch?

Jaja, ich weiß, heute nennt man das wohl revolutionären Aufstand oder so. Aber das war es auf gar keinen Fall. Adenauer und Strauß hatten doch keine Mittel gescheut, die junge DDR kaputtzumachen. Da kamen ihnen die Fehlentscheidungen des Ministerrates - die Normerhöhungen und so - doch wie gerufen. Der Bauarbeiterstreik war das eine - wie aber die Stimmung zum Beispiel durch den Rias hochgeputscht wurde, das war doch generalstabsmäßig geplant. Schon im Vorfeld wurde doch immer wieder versucht, Unruhe zu stiften, die Wirtschaft lahmzulegen und so weiter. So wurden zum Beispiel von der in West-Berlin agierenden sogenannten „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ immer wieder Anschläge verübt. Die Brandstiftung gegen den Viehhof (Zentrale Fleischversorgungsstätte von Ost-Berlin, Anm. d. Red.) war nur ein Beispiel von vielen. Und der Westberliner Senat? Ich erinnere bloß mal daran wie in einer Nacht- und Nebelaktion sämtliche U-Bahn-Züge der Linie E regelrecht geklaut und nach West-Berlin gebracht wurden. Die wollten uns ganz einfach fertigmachen.

Wie war denn die Situation unmittelbar vor dem 13. August?

Gespannt. Es lag ganz einfach etwas in der Luft. Erstens waren da die Grenzgänger. Das waren Leute, die im Osten gewohnt hatten und im Westen arbeiten gingen. Das hieß also, die haben da drüben Waren produziert, sind aber hier einkaufen gegangen; haben drüben Steuern gezahlt und hier von subventionierten Brötchen und billigen Mieten gelebt. So sah das damals aus - und so etwas kann sich doch kein wirtschaftlich noch so starker Staat auf die Dauer leisten. Und von drüben wurde das natürlich gefördert. Aber das will ja heute sowieso keiner mehr wissen. Oder erinnern Sie ihre Leser daran, daß im 'Bayernkurier‘ des Herrn Strauß ein Szenario veröffentlicht wurde, in dem man laut darüber nachdachte, die Bundeswehrtruppen vorübergehend aus der Nato auszugliedern, um dann die „Ostzone“, wie wir ja damals genannt wurden, in einer „innerdeutschen Polizeiaktion“ zu annektieren? Die Bundeswehr mit klingendem Spiel durchs Brandenburger Tor - so stand das damals da drin. Da haben wir eben die Grenzen dicht gemacht, haben ihnen gezeigt: bis hierher und nicht weiter! Danach ging es ja auch wirtschaftlich aufwärts mit der DDR.

Wie haben Sie den 13. August erlebt?

Nachts, so gegen halb zwei klngelte es bei uns an der Tür. Ich machte auf, und da stand unser ABV (Abschnittsbevollmächtigte der Volkspolizei, Anm. d. Red.) und sagte, es wäre Kampfgruppenalarm. In einer Stunde hätte ich mich im Betrieb einzufinden. Ich kam so fast als letzter. Dann sind wir angetreten und haben den Befehl erhalten: Ausrücken zur Sicherung der Staatsgrenze, Abschnitt Sonnenallee.

Waren Sie über diesen Befehl überrascht?

Eigentlich nicht, es war ja vorauszusehen, daß irgend etwas geschehen mußte. Ein paar Tage zuvor gab es ja auch die Erklärung der Staaten des Warschauer Vertrages zum Problem der offenen deutschen Grenze. Und als der ABV und nicht etwa jemand von unserer Einheit vor der Tür stand - da wußte ich, nun ist es soweit.

Wie war die Situation in der Sonnenallee?

Auf der Ostseite war alles ruhig. Im Westen allerdings standen ungefähr zweihundert Halbstarke und machten Radau. Die haben mit Camel-Schachteln geschmissen, mit Kaugummis und ab und zu kam auch mal ein Stein geflogen. Wir haben uns aber nicht provozieren lassen.

Wenn aber jemandem die Nerven durchgegangen wären? Was hätten Sie dann gemacht? Schließlich hatten Sie ja alle Ihre Maschinenpistolen dabei.

Sicher - aber die waren ja nicht geladen. Die Munition war irgendwo weit hinter uns auf einem LKW. Die haben wir aber nicht gebraucht. Wir haben die Grenze gesichert, ohne einen einzigen Schuß abzugeben.

Und dann wurde die Mauer gebaut?

Nein, nein, die kam erst später. Wir hatten nur gesichert mit Spanischen Reitern, Stacheldraht und so.

Hätten Sie damals gedacht, daß die Grenze fast dreißig Jahre geschlossen bleiben würde?

Also wissen Sie, darüber habe ich mir eigentlich gar keine Gedanken gemacht. Auf alle Fälle war ich froh, daß wir nun endlich in Ruhe mit dem Aufbau weitermachen konnten.

Zweifelten Sie später irgendwann einmal an der Berechtigung der Mauer?

Offen gesagt, sind die Zweifel mir in gewisser Hinsicht erst in letzter Zeit gekomen. Aber ich denke, so nach der Helsinki-Konferenz hätte sich da irgendwas ändern müssen mit dem Reisen und so. Andererseits - und das ist meine Meinung auch heute noch - hat die Mauer diese Konferenz erst möglich gemacht.

Interview: O. Anders