ZWISCHEN DEN RILLEN

■ Neue Platten mit brasilianischer Musik

VON ANDREAS WEISER

Als ich sie vor zwei Jahren bei einer Probe mit ihrer damaligen Band in Salvador/Bahia traf, war sie noch ein lokaler Star, der gerade einen Karnevalshit der intelligenten Sorte gelandet hatte. Uma historia de ifa. Ein Lied über die afrikanischen Wurzeln der brasilianischen Schwarzen Bahias, basierend auf dem typisch baianischen, sehr erdnahen Rhythmusgemisch aus Samba, Merengua und Reggae.

Heute wird sie zum neuen Gesangsstar Brasiliens aufgebaut und ist dabei, sich internationale Gefilde zu erobern. Die Rede ist von Margareth Menezes. Eine schwarze Baianerin mit voluminöser Stimme und von einer beeindruckend kraftvollen Ausstrahlung.

Es ist nicht leicht, sich in Brasilien als Baianerin im Musikgeschäft durchzusetzen, besonders dann nicht, wenn man der regionalen Musikmafia den Rücken gekehrt hat und lieber in die Gewerkschaft eintritt als auf Karnevalsumzügen Meriten zu sammeln. Margareth aber hat es trotzdem geschafft. Sicher nicht zuletzt mit Hilfe ihres amerikanischen Mentors David Byrne, der in einer Liner-Note für ihre erste weltweit vertriebene Solo-LP schreibt: „Margareth Menezes is the real thing, a taste of the incredible energy and spirit of Salvador Bahia. I'm proud to say MM often stole the show when we toured together in fall 89.“

Ein dickeres Kompliment kann man einer Kollegin wohl kaum machen. Der Kontakt zwischen Margareth Menezes und David Byrne kam unter anderem wohl auch durch Byrnes Freund und Halbbrasilianer Arto Lindsay zustande, der jedes Jahr zum Karneval nach Bahia fährt und sich dort in der aktuellen Musikszene umtut. Als Byrne vor zwei Jahren in Bahia weilte, um sein Candomble-Video zu drehen, da muß es zwischen ihm und MM wohl irgendwie gefunkt haben. Jedenfalls lud Byrne Margareth auf seine Welttournee ein und ermöglichte ihr dadurch den internationalen Durchbruch. Ergebnis ist die LP/CD: Ellegigbo, eine Mischung aus älteren, in Brasilien produzierten und neuen, in Los Angeles und New York aufgenommenen Titeln.

Und endlich ist es einmal nicht so, daß die Originalität und Power brasilianischer Musiker von der US-amerikanischen Popmaschinerie plattgewalzt wird. Im Gegenteil: Gerade die neuen Titel haben Druck, Lebensfreude und Kraft. Die Musik ist eine intelligente Mischung aus brasilianisch-schwarzen Wurzeln und US-amerikanischer Pop-Avantgarde a la Ambitious Lovers (obwohl Arto diesmal seine Finger nicht mit im Spiel hatte). In Tudo a toa beispielsweise vermischt sich die sambatypische Cavaquinho mit einem harten Technofunkbeat, und darüber dann die schwarze, kraftvolle brasilianische Stimme von Margareth Menezes.

Eine hervorragend gemachte brasilianisch/ amerikanische Tanzscheibe. Um einiges besser als Rei Momo, das auch noch nicht so alte letzte Werk von Byrne selbst. Die USA: Für viele brasilianische Musiker ein Sprungbrett, um in die Gewässer des internationalen Musikbusiness eintauchen zu können. Ein anderes ist Frankreich. Nirgendwo außerhalb Brasiliens leben so viele brasilianische Musiker wie dort. Einer von ihnen ist der Wahlpariser Nene, seines Zeichens Schlagzeuger, Percussionist und Komponist. Hierzulande kennt man ihn vor allem als drummer von Egberto Gismonti oder als Kopf von „Pau Brasil“, einer Band hervorragender Instrumentalisten und Improvisatoren. Nene kommt aus Rio Grande do Sul, einem Landstrich im Süden Brasiliens. Ein typisches Phänomen dieses Landstrichs ist der Minuao, ein kalter Wind, der besonders heftig in den Wintermonaten des brasilianischen Südens weht. Diesem Minuao widmete Nene seine in Brasilien bereits 1987 veröffentlichte erste Soloplatte, die jetzt in Deutschland auf Line records (einem kleinen, sehr der brasilianischen Instrumentalmusik verbundenen Hamburger Label) herausgekommen ist. Von Winterkälte ist auf dieser Platte allerdings nichts zu spüren, im Gegenteil: Dominant ist eher die Hitze des äquatorialen Nordosten Brasiliens. Typisch nordostbrasilianische Rhythmen wie Forro und Maracatu, gepaart mit jazzigen Improvisationen von Nenes Gastmusikern, drücken der Platte ihren Stempel auf. Unüberhörbar: Nene ist zehn Jahre lang durch die musikalische Schule Hermeto Pascoals gegangen. Da erinnert vieles an den Meister, ohne ihn jedoch kopieren zu wollen. Nenes Musik ist ausgesprochen brasilianisch, trotzdem sehr jazzig, aber nicht so exzentrisch wie die Veröffentlichungen Hermetos.

Wer den Hals nicht voll bekommen kann mit musikalischer Nahrung brasilianischer Herkunft, dem sei außerdem der Samba importado des in Berlin lebenden Harmonikaspielers, Vibraphonisten und gebürtigen Hamburgers Hendrik Meurkens empohlen. Meurkens, ein hervorragender Mundharmonika-Artist und Liebhaber des traditionellen brasiliansichen Sambas und Bossa Novas, hat lange genug in Brasilien gelebt, um wie ein Brasilianer zu swingen. Seine Mundharmonika klingt eher wie die eines Mauricio Einhorn als die eines coolen Hamburgers. Meurkens hat es sich nicht nehmen lassen, seine Mischung aus Sambas, Bossas, Choros und karibischen Mambos zum großen Teil in Brasilien selbst mit den dortigen Szenegrößen aufzunehmen. In Berlin hat er dann noch ein paar Freunde und den mittlerweile als HdK-Professor tätigen Vibraphonisten David Friedman draufspielen lassen. Herausgekommen ist eine gut produzierte, gefällig klingende Mainstream LP.

Margareth Menezes, Ellegigbo, Polydor 843 556-2

Nene: Minuao, Brasiline 9.00738

Hendrik Meurkens, Samba importado, Bellaphon 45 016 NEUE PLATTEN MIT BRASILIANISCHER MUSIK