Tanzl-Musi(ca) Popular

■ Neue Volksmusik aus Bayern - von BavaRio bis Alpen-Punk

Was haben die New Yorker Musik-Avantgarde-Zeitschriften Ear und der König der Volksmusik, Karl Moik, gemeinsam? Offensichtlich teilen sie eine Vorliebe. Beide schätzen die Gruppe BavaRio. Als im Frühsommer dieses Jahres das bayerische Sextett im „Musikantenstadl“ zu hören war, erschien in Amerikas führendem Magazine of New Music eine Schallplattenbesprechung - zwischen Rezensionen von Arvo Pärt, Sun Ra und Fred Frith - die dem jungen Münchner Volksmusikensemble ein dickes Lob aussprach: „Definitely worth checking out!“ lautete die Empfehlung.

Was den Neuklang-Spürnasen aus den USA an der weißblauen Combo besonders gefiel, war die eigenwillige „mixture“, mit der die Gruppe aufwartet. Wie schon der Bandname andeutet, handelt es sich dabei um eine Kombination von bavarischen Landlermelodien und Sambarhythmen aus Rio, die so geschickt miteinander verquickt werden, daß daraus eine kompakte Tanzl-Musi(ca) Popular Brasileira entsteht. Eine Musikfusion, die auf den ersten Blick, wie die findige Idee pfiffiger Weltmusikmacher aussieht. Doch dem ist nicht so. Die brasilianisch-bayerische Melange kann auf Wurzeln verweisen. Sie fußt auf einem realen geschichtlichen Grund. Wolfgang Netzer, Kopf des Ensembles und ein in Sachen Rock und Jazz versierter Gitarrist, war während eines längeren Brasilienaufenthalts auf Klänge gestoßen, die ihm eigentümlich vertraut vorkamen und ihn wie er gesteht - „im Innersten berührten“, weil sie Erinnerungen an seine Kindheit wachriefen, als er in Garmisch Mitglied einer „Schuhplattler„-Volkstanzgruppe war.

Ländler in Südbrasilien

Seine Nachforschungen ergaben, daß es sich dabei um Töne handelte, die in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts in die brasilianische Musik eingesickert waren, als Instrumentalensembles aktuelle Modetänze aus Europa, wie Walzer, Polkas und Mazurkas in brasilianischer „Manier“ spielten. Choro wurden diese Ensembles genannt, eine Bezeichnung, die mit der Zeit zum Genrebegriff einer ganzen musikalischen Gattung wurde. Die große Einwanderungswelle um die Jahrhundertwende schwemmte erneut Klänge aus aller Welt nach Lateinamerika. Die zahlreichen Bayern unter den Einwanderern brachten im Handgepäck ihre alpenländischen Landler, Polkas und Walzer mit, die vor allem auf die ländliche Musik Südbrasiliens großen Einfluß hatten. (Bis heute gibt es dort noch eine bayerische Siedlung.) Nach München zurückgekehrt, erarbeitete Wolfgang Netzer auf der Grundlage dieser Erfahrungen ein Konzept, das die originale „Stubenmusi„-Besetzung um südamerikanische Instrumente ergänzte. Mit der brasilianischen Ukulele „Cavaquinho“, lateinamerikanischer Perkussion und der Viola Caipira auf der einen Seite, Hackbrett, Tuba, Zither und Knopfakkordeon auf der anderen, probte BavaRio den Balanceakt zwischen den Kulturen.

„Samba im Haferlschuh“ titelte die TZ (München). Andere sprachen von „Weltmusik made in Germany“. Offenbar war es dem Münchner „Rootsmusic„-Ensemble gelungen in Neuland vorzudringen, ohne die eigenen Traditionen aus den Augen zu verlieren.

Das andere Bayern

Mit ihrem BavaRio-Projekt hatten sich Netzer und Co. innerhalb der jungen Generation bayerischer Volksmusikanten am weitesten vorgewagt, obwohl von Kleinkunstbühnen und aus Wirtshaushinterzimmern schon seit längerem Töne zu vernehmen waren, die in ähnliche Richtungen wiesen. Die bundesweit bekannteste Gruppe des „anderen Bayern“ sind die Biermösel Blosn, die eng mit der Arbeit des Kabarettisten Gerhard Polt verbunden sind. Sie bilden die Spitze des Eisbergs, dessen restliche neun Zehntel aus der Ferne (das heißt von außerhalb Bayerns) nicht zu sehen sind. Zu ihnen gehört die Fraunhofer Saitenmusik.

Ausgehend von ihrer Herkunft aus alpenländischen Musikkulturen hat das Trio immer wieder Erkundungen in andere musikalische Regionen unternommen - von wegen: „Mir san mir!“. Vor allem die nordeuropäische Kantelemusik hat es den Fraunhofern angetan, aber auch die keltischen Traditionen der Iren und Bretonen. Hier gibt es durch die Betonung der Saitenklänge eine natürliche Verwandtschaft zur bayerischen Stubenmusik. Richard Kurländer und Heidi Zink haben die alten Instrumente der bäuerlichen Volksmusik wieder ausgegraben, etwa die Waldzither oder die Scherrzither, auf denen sie (fast vergessene) Tanzmelodien zupfen, einen alten Steirer etwa oder den Hirtenbichler Schottisch. Kompositionen des irischen Wanderharfinisten Turlough O'Carolan (1670-1738) ergänzen das Repertoire. Das Ensemble läßt seine über hundert Saiten behutsam schwingen fast sacht. Mit krachlederner Derbheit hat diese Musik nichts zu tun.

Zither und Hackbrett

Ebensowenig wie die von Rudi Zapf und Georg Glasl. Sie sind die renommiertesten Solisten der bayerischen Szene. Mit ihren Volksmusikinstrumenten Hackbrett und Zither unter dem Arm sind sie von der „Stubenmusi“ zu Kammermusik umgezogen. Zapf klöppelt auf seinem Hackbrett, bei dem es sich um den Großvater des Cembalos handelt, Transkriptionen klassischer Musik: Schumann, Grieg, Bartok - ein Ausflug in den Jazz mit Chick Corea. Glockenhelle Töne entlockt „Münchens oberster Saitenklopfer“ dem alten Holzkasteninstrument.

Weit jünger als das Hackbrett, das schon in einfacherer Form im Mittelalter als Dulce melos bekannt war, ist die Zither. Sie hat sich im 18. Jahrhundert aus dem „Lumpeninstrument Scheitholz“ (Michael Praetorius) entwickelt. Durch fahrende Wandermusikanten fand sie im Alpenraum weite Verbreitung und wurde durch die lautstarken Blasinstrumente im 19. Jahrhundert in die stilleren Reservate des Musizierens abgedrängt. Hier ist auch Georg Glasl zu Hause. Spanische und englische Renaissancemusik hört sich auf seiner Konzertzither so überzeugend an, als wäre sie ursprünglich für dieses Instrument komponiert. Ein alter Traum, Kunstmusik und Volksmusik in Einklang zu bringen, rückt bei georg Glasl in greifbare Nähe. Die robustesten und schrillsten Töne der neuen bayerischen „Rootsmusic“ kommen von einem Trio, das schon seit etlichen Jahren besteht: den Interpreten. Sie rücken den traditionellen Melodien mit einem ungewöhnlichen Instrumentarium zu Leibe. Tenorsaxophon, Baritonsaxophon und Schlagzeug verraten die Freejazz- und Punkjazzvergangenheit. Die Interpreten geben den oftmals behäbigen Tanzweisen durch Überblastechniken und aufgekrazte Intonation Zunder. Rhythmische Exzentrik mischt sich mit hinterfotzig Gefühligem. Manchmal klingt es etwas selbstbezogen - doch der Alpen-Punk kommt in Sichtweite.

Alle diesen aktuellen Versuche, durch eine Öffnung der Volksmusik verlorengegangenes Terrain zurückzugewinnen, sind nur möglich, weil sie nicht im luftleeren Raum stattfinden, sondern aus einer breiten Laienmusikbewegung herauswachsen, die über den Kiem Pauli und den Fanderl Wastl bis heute aktiv ist und auf Hochzeiten, Dorffesten und in Biergärten Präsenz zeigt. Viele der Musiker der neuen Volksmusik kommen aus dieser Kultur und haben vom Eibl Sepp gelernt, dem Großmentor der authentischen Bayernmusik, der in München eine Musikschule betreibt mit über 300 Schülern.

Bayerische Eigenart

Nur beschleicht sie das Gefühl, daß allein konservierende Traditionspflege heute nicht mehr ausreicht. Der Zweifel wächst, ob man durch „einfrieren“ nicht das erstickt, was man am Leben erhalten möchte. Wolfgang Netzer: „Volksmusik bedeutet Lebendigkeit. Das muß leben. Es geht ja weiter. Man kann nicht immer nur das wiederkäuen, was vor hundert Jahren gemacht worden ist. Es wird schlechter. Es wird nicht besser. Was vor hundert Jahren enstanden ist, ist ungeheuer intensiv. Wenn man das heute reproduziert, verliert es an Intensität.“ In ihrem Ziel bayerische Eigenart (in der Musik) gegen eine imperiale, gleichmacherische Weltkultur zu verteidigen, kann man, durch die Brille von Herbert Achternbusch, die neuen Bayern-Bands, als teil eines „antikolonialistischen Befreiungskampfes“ (Heiner Müller) sehen: „Auch wo ich lebe ist inzwischen Welt. Früher ist hier Bayern gewesen. Jetzt herrscht hier die Welt. Bayern ist eine Kolonie der Welt.“ Noch nicht ganz, Herr Achternbusch!

Diskographie:

Trio Bavario - BavaRio; Fraunhofer Saitenmusik Zwischenklänge; Rudi Zapf - Hammer Dolce; Georg Glasl Zither; Die Interpreten - Lokalminiaturen;

(Alle Platten sind erschienen bei Trikont-Schallplatten „Unsere Stimme“, Kielstr.1, 8000 München 90.)

Konzerttermine:

Rudi Zapf: 7. September Hohenloher Kulturtage/Schloß Pfedelbach, 15.09. Neuötting, 16.09. München (Gasteig)

georg Glasl: 15.09. Merchweiler (Saarland)

Fraunhofer Saitenmusik: 07.09. Bad Tölz, 21.09. Regensburg, 22.09. München

BavaRio: 12.10. Balingen, 13.10. Langenau/Ulm, 26.10. München

Die Interpreten: 25.08. Burglenfeld, 06.09. Landshut, 22.09. Schwandorf, 28.09. Freilassing, 29.09. Wasserbrug