Irak-Intrigen des BND

■ Eine Hamburger Firma lieferte während des Golfkrieges Waffen an den Irak und bildete eine irakische Antiterror-Einheit aus. Ex-Chefs von BND und BKA sollen verwickelt sein

Die Hamburger Firma Wenzel Hruby soll auf Vermittlung des Bundesnachrichtendienstes (BND) während des Golfkrieges anfang der 80er Jahre umfangreiches Kriegsmaterial an den Irak geliefert und Ausbildungshilfe geleistet haben. Das geht aus der taz vorliegenden Dokumenten sowie aus Aussagen an der Affäre führend Beteiligter hervor. In die Affäre verwickelt gewesen sein sollen nach ihren Angaben auch der damalige BND-Chef und heutige Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Klaus Kinkel, der Ex-Chef des BKAs Heinrich Boge - inzwischen Berater von DDR-Innenminister Diestel - sowie hochrangige Beamte des bayerischen Innenministeriums. Ein zunächst von der Staatsanwaltschaft München eingeleitetes und dann vom Hamburger LKA fortgeführtes Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz wurde im März dieses Jahres jedoch „mangels hinreichenden Tatverdachts“ eingestellt.

Bestandteil des 10-Millionen-Mark-Kontraktes mit den Irakern war die Ausbildung einer „Antiterror-Einheit“ nach dem Vorbild des bundesdeutschen „GSG9“ sowie die Lieferung von 600 Maschinenpistolen. Aktenkundig wurde der Deal durch die Verhaftung des Irakers Abdul Moneim Jebara am 30. Mai 1986. Jebara war bei dem Versuch ertappt worden, 30 Kampfhubschrauber über die Hamburger Firma „Procom“ für den Irak zu beschaffen. Als Jebara nach seiner Verhaftung den BKA-Chef Boge zu sprechen verlangte, war der „gute Freund“ (Jebara) aus alten Tagen nicht zu sprechen. Wegen dieser Verweigerung ist Jebara, der nach seiner Verurteilung zu sechseinhalb Jahren Knast streng abgeschirmt in München Stadelheim einsitzt, noch immer stocksauer: In der Novemberausgabe der 'Quick‘ des vergangenen Jahres ließ er wissen: „Sie haben schon Angst vor meiner Entlassung, denn dann werde ich schonungslos auspacken.“

Boge und Jebara hatten sich nach Aussage des leitenden Polizeidirektors aus München, Willi Schmutterer, 1980 kennengelernt. Damals war Boge als Leiter der Abteilung für Polizeiangelegenheiten des Bundesinnenministeriums und in Begleitung Schmutterers nach Bagdad geflogen, um über eine Unterstützung der Iraker durch die Bundesregierung zu konferieren. Mit dabei war auch besagter Abul Jebara, der in der Bundesrepublik als Verbindungsmann des irakischen Geheimdienstes und der Bagdad-Regierung tätig war. Boges Gesprächspartner am Golf war Dr. Al Barak, damaliger Chef der irakischen Polizei, der wenig später zum Boß des Geheimdienstes befördert wurde. Inhalt des Gesprächs: Die Iraker baten um fachliche Unterstützung und technische Ausrüstung für die Polizei und deren Ausrüstung mit deutschen Waffen. Laut Schmutterer sagte Boge in diesem Gespräch die Unterstützung des Bundesinnenministeriums zu, weil die Iraker ihm glaubhaft versichert hätten, daß der Irak den „internationalen Terrorismus“ nicht mehr unterstützen werde.

Für die weitere Abwicklung des Geschäftes äußerst dienlich waren Schmutterers gute Connections ins bayerische Innenministerium. Aufgrund der ausgezeichneten Kontakte zum damaligen bayerischen Innenminister Seidel hatten die Iraker schon geraume Zeit die Schiene Bagdad-München benutzt. Schmutterers Kompetenz bei dem Bagdad-Trip muß Heinrich Boge restlos überzeugt haben: nach der Reise wurde der Polizeidirektor aus München, wie er selbst behauptet, „auf ausdrücklichen Wunsch von Herrn Boge“ zum Verbindungsmann für die regelmäßigen Kontakte zum irakischen Geheimdienst via Abdul Jebara erkoren.

In der Tat klappte die Zusammenarbeit gut. Von der unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung bis zum Waffenschein besorgte Schmutterer für Jebara alles, was der Iraker begehrte. Währenddessen war Jebara bis zu seiner Verhaftung 1986 damit beschäftigt, Material - vom gepanzerten BMW bis zu Waffen aller Art - für den Irak zu beschaffen.

Das Team Schmutterer/Jebara sorgte für einen reibungslosen nachrichtendienstlichen Fluß. In schwierigeren Fällen wurde von Schmutterer auch mal Heinrich Boge - inzwischen Chef des Bundeskriminalamtes - zwecks persönlicher Intervention eingeschaltet. So beispielsweise als Iraner dahintergekommen waren, welche Rolle Jebara in der Bundesrepublik für den irakischen Geheimdienst spielte. Als in der iranischen Zeitung 'Al Jihad‘ ein Dossier über Jebara, dem laut Selbsteinschätzung „engen Freund“ von Präsident Saddam Hussein, veröffentlicht wurde, beschlossen Jebara und Schmutterer etwas gegen das „iranische Hetzblatt“ zu unternehmen.

Jebara meldete damals unverzüglich dem irakischen Innenministerium Vollzug. In der entsprechenden Notiz, die Beamte des bayerischen Landeskriminalamtes bei einer Hausdurchsuchung in Jebaras Tresor fanden, schrieb der Iraker: „Ich habe den öffentlichen Artikel Herrn Schmutterer übergeben, der ihn unserem Freund (gemeint war nach Jebaras Aussage Boge) zuschicken wird... Ich habe mich mit ihm geeinigt, daß sie der Person eine Falle stellen und sie nächste Woche beobachten und bei Erscheinen der nächsten Nummer entweder vor oder während der Verteilung überrumpeln. Denn diese Zeitung darf weder verteilt noch verkauft werden.“

Als kleine Anerkennung für diese Freundschaftsdienste, so schildert es Schmutterer, erhielten er selbst und Boge vom irakischen Innenministerium Pistolen als kleines Präsent. Überbracht wurden die Geschenke von der Münchner Firma Krausser, die den Irakern während des Golfkrieges mindesten Gewehre und Pistolen im Werte von 500.000 Mark lieferten. Weil die Ausfuhr solcher Waffen während des Krieges nicht genehmigungsfähig gewesen wären, kam der irakische Innenminister auch schon mal persönlich nach München geflogen.

So geschehen am 24. April 1982, als Innenminister Sadour Shakir 75 Pistolen und 90 Revolver der Firma Krausser in Empfang nahm. Bei diesem Besuch schaute Shakir auch bei Klaus Kinkel, dem damaligen BND-Chef, vorbei, der wenige Monate später im Bonner Justizministerium zum Staatssekretär avancierte. Jebara, der wie immer dolmetschte, erinnerte sich später daran, daß der Innenminister ihn bat, „Herrn Kinkel zu fragen, ob er die gekauften Waffen sofort mitnehmen dürfe“. Kinkel habe darauf gelacht, so Jebara, „und sagte Herrn Philipp, er solle es so arrangieren, daß die Waffen ohne Ausfuhrpapiere zur Privatmaschine des Innenministers kommen“. Begleitet von BND-Oberst Philipp und einigen Herren des bayerischen Innenministeriums, wurden die Waffen nach Aussage von Polizeidirektor Schmutterer am folgenden Tag in Shakirs Privatjet auf dem Flughafen München -Riem geschafft.

Kinkel soll nach den der taz vorliegenden Dokumenten und Aussagen auch die Kontakte zu einem möglichen Lieferanten der von Boge zugesagten Polizeihilfe hergestellt haben. BND -Empfehlung: die Hamburger Firma „Wenzel Hruby Communication Equipment GmbH Import Export Transit“.

Die Iraker hatten ihre Wünsche zwischenzeitlich dahingehend konkretisiert, daß „das Antiterror-Training nach den Richtlinien der GSG9“ erfolgen sollte und daß sie die Spezialausrüstung dafür in der Bundesrepublik kaufen wollten. Im Februar schloß Wenzel Hruby mit Oberst Ibrahim S. Ali von der Firma „Eradlab“ in Bagdad einen Vertrag (siehe Faksimile auf dieser Seite) über die Gesamtsumme von 10 Millionen Mark ab. Lieferung: ein Ausbildungsprogramm nebst Ausbilder sowie die notwendige Ausrüstung.

In dem Vertrag zwischen Wenzel Hruby und „Eradlab“ (Tarnbezeichnung der technischen Abteilung des Geheimdienstes) findet sich unter Punkt 8 der „Vertraulichen Informationen“ der Passus: „Die im Vertrag festgelegte Art des Trainings wird strikt vertraulich behandelt, und der Irak unternimmt nichts, die Natur der Ausrüstung und des Trainings teilweise oder insgesamt irgendeiner anderen Person zu enthüllen“.

Verständlich, daß der Deal geheimgehalten werden sollte, denn seit September 1980 tobte bereits der Golfkrieg, gleichzeitig führte Saddam Hussein im eigenen Land einen gigantischen Vernichtungsfeldzug gegen die Opposition und die kurdische Minderheit.

Zunächst ging alles seinen geordneten Gang. Wenzel Hruby heuerte im Dezember 1981 Ludwig Heerwagen von der GSG9 an, einen der „Helden von Mogadischu“, der bis Februar 1982 in Saudi-Arabien noch eine „Antiterror-Einheit“ auszubilden hatte. Im Vertrag mit Wenzel Hruby (siehe Faksimile auf dieser Seite) verpflichtete sich Heerwagen, ein geeignetes Team an Ausbildern zu stellen. Heerwagen war zudem dafür verantwortlich, die entsprechenden Ausbildungsgegenstände auszusuchen, die Wenzel Hruby dann vertragsgemäß in den Irak liefern wollte.

Neben dem Monatssalär von 18.000 Mark winkte dem Ex-GSG-9 -Mann noch eine stattliche Provision aus den Verkaufsgewinnen für die Ausrüstung. Von der Differenz zwischen dem Einkaufspreis, den Wenzel Hruby zu zahlen hatte, und dem Verkaufspreis an die Iraker, sollten 40 Prozent in die Taschen Heerwagens und des Ausbilders Thomas Schäfer fließen. Vertraglich garantierte Wenzel Hruby dem „Mogadischu-Held“, daß „Ihr Anteil mindestens 800.000 Mark betragen wird“.

Am 10. Mai 1982 stand das Team der Ausbilder. An Bord des Jets Richtung Bagdad: Ludwig Heerwagen, Thomas Schäfer, Wenzel Hruby und weitere Ausbilder und ihre Gattinen. Ludwig Heerwagen wolte bei diesem Einsatz auf seine Tochter Bernadette nicht verzichten. Eine Woche vor der Abreise in den Irak hatte Heerwagen die Liste der Ausrüstungsgegenstände zusammengestellt. Was bei den Irakern nicht vorhanden war, sollte von Wenzel Hruby vertragsgemäß geliefert werden. Auf der Wunschliste befand sich unter Position 33: 500 Maschinenpistolen MP5 der Firma Heckler&Koch (HK), 50 Maschinenpistolen MP50 A3, 50 MPs 5 SD3, 125 Gewehre GS A3, desweiteren 2 Millionen Schuß Munition 30.000 Hand- und Gasgranaten sowie Sprengstoffe.

Später erklärte Heerwagen, daß er Wenzel Hruby und den Irakern von Anfang an gesagt habe, daß die Lieferung derartiger Waffen an den kriegsführenden Irak nicht genehmigt würde. Die Iraker müssen den GSG-9-Mann damals jedoch ganz anders verstanden haben. Sie waren davon ausgegangen, daß der Bezug der Waffen „zwar schwierig sei, es allerdings auch nicht unmöglich sein würde, die Genehmigung zu erhalten, da die Aufstellung der irakischen Sondereinheit auch dem Interesse der BRD dienen könnte“, so Oberst Ali. Er erinnerte in diesem Zusammenhang auch daran, daß der Vertrag mit Wenzel Hruby „durch die Vermittlung des BND zustande gekommen sei und daß man schon aus diesem Grunde auf die Zuverlässigkeit der Firma Hruby vertraut habe“.

Wenzel Hruby bemühte sich dann auch um die Beschaffung dieser Waffen, zunächst im Stammwerk von Heckler&Koch in Oberndorf, später bei der Heckler-Tochter in London. Es gab jedoch Schwierigkeiten, die Waffen zu beschaffen. Heckler& Koch war offenbar nur bereit, derartige Waffen über Jordanien zu liefern. Ein entsprechendes Angebot über 600 Maschinenpistolen und 125 G3-Gewehre zum Preis von 1.057.300 Mark an den Innenminister von Jordanien wurde später in Schmutterers Arbeitszimmer gefunden.

Weil die bei Wenzel Hruby georderten H&K-Waffen während der Ausbildung der „Antiterror-Einheit“ bei Heerwagen nicht eintrafen, die vorhandenen Kalaschnikows sehr unpräzise schossen, empfahl Heerwagen den Irakern das Scharfschützengewehr SIG SAUR 1 (SSg1) von Steyr zu ordern. Die Waffen wurden dann auch tatsächlich beschafft. Heerwagen: „Ich habe sie im Irak gesehen, sie wurden uns jedoch nicht zur Verfügung gestellt.“ Ob auch die Heckler -MPs irgendwann eintrafen, konnte im nachhinein offenbar nie geklärt werden.

Das Ausbildungsprogramm fand ansonsten planmäßig von Mai bis September 1982 statt. Umfangreiches Schießtraining mit verschiedenen Waffen unter unterschiedlichen Bedingungen, gewaltsame Stürmung von Gebäuden und Flugzeugen, Befreiung von Geiseln, praktischer Umgang mit Sprengstoff, Kenntnis und Anwendung verschiedener Arten von Kampfgas.

In seinem Abschlußbericht an Wenzel Hruby erklärt Heerwagen: „Ziel der zurückliegenden Monate war es, eine Spezialeinheit aufzustellen, der es möglich ist, allen terroristischen Aktivitäten im Landesinneren entgegenzutreten, um sie erfolgreich abzuwehren.“ Als äußerst mangelhaft bewertete Heerwagen die Disziplin der Iraker: „Äußerst störend wirkte sich in der Ausbildung aus, daß man bei unangenehmen Befehlen oder Ausbildungsthemen zunächst diskutieren wollte. (...) Unabdingbar für jede taktische Arbeit ist jedoch, daß jeder Auftrag oder Befehl zunächst widerspruchslos durchgeführt wird (...).“

Für die Hamburger Firma Wenzel Hruby - die mittlerweile in Konkurs gegangen ist - blieb das Irak-Engagement ohne strafrechtliche Folgen. Zwar bekamen sich Wenzel Hruby und die Iraker heftig in die Haare, weil einige Teile des bestellten Materials nicht geliefert werden konnten, das von der Staatsanwaltschaft München eingeleitete und von Hamburg fortgeführte Verfahren wegen Verstosses gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz wurde jedoch mangels hinreichenden Tatverdachts im März dieses Jahres eingestellt. Lediglich die Lübecker Anklagebehörde ermittelt gegen Firmenchef Wenzel Hruby weiter wegen unerlaubten Waffenbesitzes. In der Wohnung des Waffenhändlers ohne Waffenschein wurde ein Gewehr mit Zielfernrohr gefunden.

Anja Kuhr/Kai von Appen