Hahnenkampf um Hauptstadt

■ Halle, Magdeburg und Dessau streiten um den Führungsanspruch im künftigen Land Sachsen-Anhalt

Halle (taz) - Der Streit schwelt, seit im vergangenen Herbst zum ersten Mal von der Wiedereinführung der Länder auf dem Gebiet der DDR geredet wurde. Doch bis vor kurzem führten ihn nur wenige, vergleichsweise desinteressiert. Die Straße hatte anderes im Kopf, als die anfangs allgemein unterschätzte Hauptstadtfrage zu lösen.

Die Fronten zwischen den drei Rivalen Dessau, Halle und Magdeburg aber sind nach einigen Vermittlungsgesprächen, an denen Minister Preiß und die Volkskammerabgeordneten beider Bezirke teilnahmen, verhärteter denn je. Die fiktiven Armeen der Argumente, vor allem aus Halle und Magdeburg, liefern sich obskure Scheingefechte mit - zumeist heftig geschönten

-Fakten. Dessau, eigentlich sowieso ein aussichtsloser, ja beinahe exotischer Dritter im Duell der Großen, hält sich zurück. Oberbürgermeister Dr. Jürgen Neubert auf die Frage, ob seine Stadt auf eine Chance als Zünglein an der Waage lauere: „Wir können uns natürlich gut vorstellen, im Falle des Streits der beiden Großen einen lachenden Dritten abzugeben...“

Der Streit jedenfalls ist da. Halle, größte Stadt im Land und viertgrößte in der Noch-DDR, nachdem Anfang Mai die ehemals eigenständige 90.000-Einwohner-Neubausiedlung Halle -Neustadt eingemeindet wurde, beruft sich auf die „eindeutige“ Rechtslage. Halle nämlich ist rein formaljuristisch betrachtet immer noch Landeshauptstadt, weil die Existenz des Landes Sachsen-Anhalt mit Halle als Landeshauptstadt rechtlich nie aufgehoben wurde. Ein Fakt, den die Magdeburger keinesfalls hinnehmen wollen. Immerhin war es ja niemand anderes als die sowjetische Besatzungsmacht, die schändlicherweise dem „roten“ Halle den Vorzug vorm eher als sozialdemokratisch verschrieenen Magdeburg gab! Für die Magdeburger ist die eindeutig zu ihren Ungunsten auslegbare rechtliche Situation ein klares Argument für die Hauptstadt.

Halle, Geburtsstadt von Händel und Genscher (oder besser Genscher und Händel?), die „ihrem“ Außenminister inzwischen sicherheitshalber die Ehrenbürgerwürde angetragen hat, versucht nichtsdestotrotz weiterhin auf jede nur erdenkliche Art, vollendete Tatsachen zu schaffen. Längst sind rings um die Stadt „amtliche“ Schilder aufgestellt, die mit der Aufschrift „Halle - Landeshauptstadt Sachsen-Anhalt“ von den ernsten Absichten der alten Dame an der Saale künden. Ein wunder Punkt der halleschen Argumentation ist zweifellos, daß sich der Bezirk Halle selbst nicht einig werden kann über den Hauptstadtanspruch seiner größten Stadt. Und doch eine Tatsache, die in der Reihe „Sachliche Argumente für Halle als Landeshauptstadt“ der unabhängigen 'Mitteldeutschen Zeitung‘ (Eigenwerbung: „Die Nummer1 in Sachsen-Anhalt!“) keine Rolle spielt. „Alles spricht für unser Halle“ ist hier der Tenor, und dementsprechend werden selbst die Nachteile der Stadt im Süden des zukünftigen Landes flugs in Vorzüge umgedeutet. Die zentrale Lage? Herrje, liegt nicht selbst London sozusagen dezentral? Fehlende Verkehrsinfrastruktur? Oh nein, ausbaufähige Streckenteilstücke! Fortschreitender Verfall ganzer Stadtteile, die Lage im „Schwarzen Loch“ der schlimmsten Luftbelastung, das leere Stadtsäckel, die seit Jahren ungebrochene Migration Zehntausender fort aus dieser Gegend, irgendwo andershin - Zeichen des Niedergangs der traditionsreichen Hallorenstadt...?

Sowieso, heißt es bei Halles CDU-OB Dr. Peter Renger, sei Halle lange genug von der Magdeburger Dominanz quasi an die Wand gedrückt worden. Schon 968 die Unterwerfung unter das Erzbistum, später die Verhinderung der Proklamation der „Freien Reichsstadt Halle“ und zuletzt 40 Jahre Parteidiktat aus Berlin, in denen der Bezirk als solcher zwar ein Sechstel des Nationaleinkommens der DDR erwirtschaftete, aber nur Brosamen davon abbekam.

Magdeburg ist stets peinlich bemüht, die Pose des Nur-noch -nicht-erklärten-aber-längst-feststehenden-Siegers“ zu wahren. Rückenstärkung kommt von der katholischen Kirche: Bischof Leo Nowack installierte sein „Büro beim Land Sachsen -Anhalt“ wie selbstverständlich (und demonstrativ?) an der Elbe und nicht an der Saale. Die Elbe ist ja auch der größere Fluß! Aber Halle hat den Schkeuditzer Flughafen! Aber Magdeburg den Dom! Aber Halle den größten Güterbahnhof Europas! Aber Magdeburg die bessere Fußballmannschaft! Aber Halle den Zoo! Aber Magdeburg auch! Aber Hans-Dietrich Genscher kann sich doch nicht irren! Und der hat sich jüngst mit dem Satz „Mein Herz für Halle“ wieder mal vehement und unmißverständlich an die Seite der „Landsleute aus meiner Heimatstadt“ gestellt. Ein Fakt, der seiner FDP in der liberalen Beinahe-Hochburg Halle demnächst etliche Stimmen zusätzlich einbringen dürfte. Ob's aber letztlich auch im Hahnenkampf um den Hauptstadtstatus hilft oder nicht vielleicht doch passiert, was sich von Anfang an als Kompromißvariante abzeichnete - die dezentrale Strukturierung der ehemals zwei Bezirke des einen neuen Landes in dann drei Regierungsbezirke mit verteilten gemeinschaftlichen Kompetenzen - bleibt wahrscheinlich dem am 14. Oktober neuzuwählenden Landesparlament vorbehalten.

St. Könau