Brief an deutsche Chefs: Weg mit dem 175er!

West-Berlin. In persönlichen Briefen an Bundeskanzler Kohl und Ministerpräsident de Maiziere hat die Berliner Aids -Hilfe die Abschaffung des Sonderstrafrechts für Schwule (Paragraph 175) im neuen Gesamtdeutschland gefordert. Gleichlautende Schreiben gingen auch an die Petitionsausschüsse von Bundestag und Volkskammer sowie an die Justizministerien beider deutscher Staaten. O-Ton Berliner Aids-Hilfe: „Wir fordern Sie nachhaltig auf, sich bei der Rechtsangleichung zwischen DDR und BRD endlich für die ersatzlose Streichung des §175 StGB oder für die Übernahme der DDR-Regelung in gesamtdeutsches Recht einzusetzen. Die Bestrafung von Sexualität, die ernsthaft keinen Menschen bedroht, war und ist auf Dauer kein guter Ratgeber für gesellschaftliche Befriedung; sie ist im Gegenteil inhuman und einer demokratisch verfaßten Gesellschaft unwürdig.“

Wie im zweiten Staatsvertrag zur deutschen Einigung mit dem Komplex 175 umgegangen werden wird, ist noch unklar. Vermutlich wird es eine vorläufige Ausklammerung als Kompromiß geben. Denn während de Maiziere und das DDR -Justizministerium die Übernahme des DDR-Rechts vorgeschlagen haben, sehen Kohl und Co. bislang keinen Handlungsbedarf - was eine Übernahme des 175 in der DDR bedeuten würde. Ein Rückschritt: Ist doch in der DDR seit 1988 die Strafbarkeit homosexueller Handlungen abgeschafft und eine einheitliche Schutzaltersgrenze von 14 Jahren installiert.

Unterdessen wurde von Berliner Schwulengruppen, den Aids -Hilfen und Ost- und West-Schwulenverbänden zu einer gesamtdeutschen Großdemonstration gegen den Paragraphen 175 aufgerufen. Der 175er sei nicht nur eine „strafrechtliche Bedrohung, sondern auch Symbol für die gesellschaftliche Ausgrenzung und Diskriminierung“, heißt es in dem Aufruf zu der Demo am 27.Oktober um zwölf Uhr in Berlin. Sie soll in beiden Stadthälften stattfinden und durch das Brandenburger Tor verlaufen. O-Ton: „Wenn nicht jetzt, wann dann? Wenn nicht wir, wer dann? Wenn nicht in Berlin, wo dann?“

kotte