Schweizer lieben Ludotheken

Daß die Schweizer ein ziemlich aufgewecktes Völkchen sind, ist allgemein bekannt, daß sie regelrecht vernarrt sind in jede Art von Spielzeug, war zumindest mir neu. Ludotheken sind der Renner im Land der Berge. Ludere ist lateinisch und heißt spielen. Keinesfalls darf eine Ludothekarin aber als Gespielin angesehen werden. Vielmehr handelt es sich dabei um eine Frau, die in einer Ludothek arbeitet, und das wiederum ist nichts anderes als eine Spielzeugausleihe.

Die kleine Schweiz ist mit inzwischen 262 solcher Einrichtungen, bezogen auf die Einwohnerzahl, führend in der Welt. Meist werden die „Spielzeug-auf-Zeit-Läden“ von

Frauen betrieben, die dort ehrenamtlich oder gegen ein geringes Entgelt arbeiten.

Die erste Ludothek wurde 1972 in der Schweiz eröffnet. Immer mehr Eltern und Kinder haben inzwischen die Vorteile der Ausleihen schätzen gelernt. Sie ermöglichen nicht nur ständige Abwechslung, sondern erziehen auch zum sorgfältigen Umgang mit den Spielsachen und helfen so, der Wegwerfmentalität vorzubeugen. Wer ein bestimmtes Spielzeug kaufen möchte, kann es zunächst in der Ludothek beschaffen und ausprobieren. Außerdem erlauben es die Ludotheken auch Eltern mit kleinem Geldbeutel, ihren Kindern etwas zu bieten. Nicht zuletzt aus diesem Grund werden die Räume meist von den Gemeinden, den Kirchen und gemeinnützigen Organisationen bereitgestellt. In einigen Kantonen gibt es

sogar mobile Ausleihen, die von Ort zu Ort ziehen. Daß die Ludotheken ausgerechnet in der wohlhabenden Schweiz florieren, mag überraschen. Umfragen haben aber zutage gefördert, daß die Eidgenossen regelrecht spielsüchtig sind. Wir Deutschen

sind, was das Spielen angeht, erheblich beschränkter. Bei uns ist meist Geld im Spiel. So machen gerade wieder ein paar geschäftstüchtige „Spieler“ mit einer Kettenbriefaktion Schlagzeilen. In den letzten Jahren hießen sie „Pilotenspiel“ oder „Joker“, diesmal nennen sie es „Top 12“.

Dabei stört es anscheinen keinen, daß von den 270 Mark Teilnahmebetrag allein 70 Mark „Gebühren“ sind. Die meisten Mitspieler kennen sogar die logischen Fehler von Kettenbriefen, sie wissen, daß die Mehrzahl von ihnen verlieren muß, denn das „Spiel“ funktioniert nur, wenn unendlich viele Spieler einsteigen. Doch das alles scheint niemanden zu interessieren. Wie die Lemminge stürzen sich die Deutschen auf jeden neuen Kettenbrief. Bei „Top 12“ sollen es inzwischen 420.000 sein.

Karl Wegmann