„Als Frau aus dem Milieu immer außen vor“

■ Mitarbeiterinnen des Prostituierten-Projektes Nitribitt fordern feste Stellen: „Sonst geben wir das Projekt auf“

Eine Bremer Prostituierte erzählt: „Mehr als einmal habe ich über einen möglichen Ausstieg nachgedacht. Aber mir fehlen halt die Perspektiven. Entweder man schafft es, sich durch die Prostitution zu sanieren; oder man wird irgendwann, wenn nichts mehr geht, zum Sozialhilfefall. Eine auf unsere Verhältnisse zugeschnittene Alternative gibt es nicht. Als Prostituierte

habe ich kein Anrecht auf Ausbildungs-, Umschulungs und AB -Maßnahmen, weil ich dafür keine Anwartschaft erworben habe; sprich Beiträge zu den gesetzlichen Versicherungen, Arbeitslosen- und Rentenversicherung entrichtet habe. Als Frau aus dem Milieu steht man überall außen vor“.

Damit Prostituierte nicht länger

an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, haben sich im Herbst 1987 Bremer Betroffene und Sozialarbeiterinnen zu dem Verein „Nitribitt“ zusammengeschlossen. Von Anfang an stand das Projekt auf wackligen Füßen. Zwar konnten bereits 1988 geeignete Räume bezogen werden, die seitdem vom Senator für Gesundheit bezahlt werden. Die gesamte Beratungs- und Betreuungstätigkeit liegt jedoch nach wie vor in den Händen von ständig wechselnden ABM-Kräften. Bei Nitribitt ist man sich inzwischen einig: Auf die Dauer kann das Projekt so nicht nicht weitergeführt werden.

„Ich bin jetzt seit November '89 hier und immer noch damit beschäftigt, mich mit allen Leuten bekannt zu machen“, erzählt die Sozialarbeiterin Wilma Warbel. „Wenn jedes Jahr neue Leute kommen, fängt man praktisch immer wieder von vorne an. So kann einfach keine kontinuierliche Ar

beit entstehen“. Da die Tätigkeit sehr personenbezogen sei und es darauf ankomme, sich Stück für Stück das Vertrauen der Frauen, denen man helfen wolle zu erwerben, müsse es unbedingt feste Bezugspersonen geben. „Das Mißtrauen uns gegenüber ist immer noch enorm hoch“.

Inzwischen haben die Frauen von „Nitribitt“ einen Förderungsantrag beim Senator für Soziales eingereicht. „Wenn der Antrag abgelehnt wird, müssen wir noch einmal überlegen ob, es dann nicht besser ist, das Projekt ganz aufzugeben“, sagt Wilma.

Bei einem Blick in die Geschichte der Bremer Prostitution wird deutlich: Probleme gibt es für anschaffende Frauen erst seit dem 19. Jahrhundert. Im Gegensatz zu den Hetären aus Athen und Rom, die in der Gesellschaft hohes Ansehen genossen, sowie den im Mittelalter städtisch organisierten Frauenhäusern, die unter besonderem Schutz standen,

wurde in der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft plötzlich von „gewerbsmäßiger Unzucht“, „Hurerei“ und „liederlichen Weibern“ gesprochen.

Wie in England begannen auch in Bremen Anfang des Jahrhunderts verschiedene Frauenvereine für die persönliche Freiheit der Prostituierten zu kämpfen. Ergebnis ihrer Aktivitäten war ein 1927 beschlossenes Reichsgesetz, das die gewerbsmäßige Unzucht für straffrei erklärte und Kasernierungen endgültig verbot. Als jedoch in der Weltwirtschaftskrise wiederum steigende Sraßenprostitution „öffentliches Ärgernis“ erregte, wurde 1933 die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ erlassen, eine erneute Verschärfung der Überwachungspraxis. Den absoluten Höhepunkt an Diskriminierung erlebten die Prostituierten jedoch unter den Nationalsozialisten. Auf der Grundlage von Gesetzen gegen „gefährliche Gewohn

heitsverbrecher“ und „vorbeugender Verbrechensbekämpf

ung“ wurden sie als minderwertiges Leben abgestempelt. Nach dem Krieg haben sich die Bedingungen grundlegend geändert: Zwangsregistrierungen, - untersuchungen oder kasernierungen gibt es nicht mehr. In der Gesellschaft werden Prostituierte jedoch nach wie vor diskriminiert. Einerseits will Man(n) jederzeit auf sie zurückgreifen können, andererseits gilt ihre Tätigkeit als „sittenwidrig“.

„Nitribitt“ unterstützt in diesem Zusammenhang einen Gesetzesentwurf der Grünen zum Thema „Beruf Hure“. Hauptforderungen des Entwurfes betreffen die Einklagbarkeit des Honorars, den Anspruch auf gesetzliche Krankenversicherung sowie die Anerkennung der Prostitution als Beruf.

Birgit Ziegenhagen

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