Blau ist nie verkehrt

■ Eine kurze Schlußverkaufsrausch-Geschichte

Die U-Bahn in Richtung Adenauerplatz ist überfüllt. Ich frage mich, ob die auch alle zur Wilmersdorfer Straße wollen. Es ist fortgeschrittener Schlußverkauf, es ist endlich Sommer, und ich will mir etwas kaufen; Schuhe vielleicht, vielleicht ein Kleid, auf jeden Fall T-Shirts.

In der Wilmersdorfer drängeln sich Wessis, Ossis, Touris und Berliner. Eigentlich will ich gemütlich schlendern, aber ich gehe eher im Zickzack, um nicht jemanden anzustoßen, den Straßenmusikanten nicht durch die „Bühne“ zu laufen, die Menschentrauben um die Bauchladenverkäufer zu umrunden. Ein Karren mit Videorecordern haut mir gegen die Hacken. Eine Entschuldigung, auch auf polnisch, täte mir gut.

Ich höre, sehe, rieche: Hier findet das Leben statt. Da werden mikrophonlaut Schwämme für die absolute Sauberkeit angeboten, zwei junge, aufstrebende Künstler haben ausgerechnet vor einer Drogerie ihre Geigenstunde, und jemand will mir sagen, daß Gott auch mich liebt. Mit vollem Portemonnaie und schlechtem Gewissen mogele ich mich an bettelnden Kindern vorbei und beginne mich zu fragen, ob ich nicht besser zu Hause auf dem Balkon geblieben wäre.

Aber ich will mir etwas kaufen! Also schiebe ich mich durch schmale Läden mit entsetzlich lauter Musik, drehe Warenhauskarussells, schiebe Kleiderbügel hin und her, lasse mir auf die Füße treten und in den Rücken puffen. Ich gehe durch Kaufhäuser, mal mit Klimanlage, mal ohne, mal mit Musikgeriesel, mal ohne; ich fahre Rolltreppen rauf und runter und sehe mich vergeblich nach Verkäuferinnen um. Langsam spüre ich Unmut in mir aufsteigen, Unmut gegen die Fülle, den Lärm, die Warenmassen, gegen all diesen Überfluß.

Aber ich möchte mir gerne etwas Schönes kaufen. Also ziehe ich weiter durch Geschäfte, schichte Sonderangebote um, probiere Schuhe und weiß eigentlich nicht mehr, was ich will. Ich versuche schon gar nicht mehr, eine Verkäuferin um Beratung zu bitten. Die sind so nervös und gereizt und geben kaum Auskunft. Klar, sie haben es aber auch wirklich nicht leicht, das weiß ich.

Inzwischen sortiere ich Blusen. Ich wähle vier aus schwarz und aus Seide, eine blaue ist dabei - und stelle mich damit müde und lustlos ans Ende der Warteschlange zu den Umkleidekabinen. Die Verkäuferin auf dem Hocker am Eingang sagt freundlich: „Sie dürfen nur drei Teile mitnehmen.“ Ich will weggehen, aber sie nimmt eine Bluse, hängt sie neben sich und sagt: „Holen Sie sich die nachher ab“, und gibt mir eine Dreierkarte. So einfach ist das.

Draußen scheint die Sonne, und ich probiere in der Kabine schwarze Blusen. Ich höre die Frau am Eingang mit den Kunden reden. Sie gibt Ratschläge, sagt ihre Meinung, tröstet ein Kind, das seine Mutti sucht und herzzerreißend schreit, und erklärt einem Ausländer geduldig, daß er mit einer Null -Nummer ruhig eintreten dürfe. Ich merke, wie ich zuzuhören beginne. Diese Frau hat eine so nette Stimme. Mit einer Bluse gehe ich zu ihr, um mir die andere, weggehängte zu holen. Dabei sehe ich sie mir an. Sie hat ein liebes Gesicht mit dunklen Augen. Sie sieht auf meine bunten Fingernägel und lacht. In der Kabine probiere ich die blaue Bluse an. „Schwarz ist nie verkehrt“, sagte meine Mutter immer. Ich höre die Frau zu einer Kundin sagen: „Die Jacke steht Ihnen sehr gut. Wenn Sie das Geld haben, sollten Sie die kaufen.“ Eine Männerstimme sagt: „Hatse doch recht, wa.“ Ich gucke durch den Vorhang und sehe eine fröhlich-bunte Jacke an einer dünnen Frau. Ich gefalle mir in den schwarzen Blusen nicht und gehe zum Ausgang. Die Frau nimmt mir die Nummernkarte ab, guckt mich an und sagt: „Sie haben ja blaue Wimperntusche.“ Sie sieht die blaue Bluse und sagt: „Ach, jetzt kaufen Sie zur Wimperntusche die Bluse. Eine gute Idee.“

Ich bin verwirrt. Fast mechanisch bezahle ich an der Kasse die blaue Bluse, und auf einmal fühle ich mich wohl. Ich gucke in meine Einkaufstüte und freue mich über das leuchtende Blau. Blau ist nie verkehrt, nicht an Wimpern, nicht an Fingernägeln, nicht am schönen Sommerhimmel. Ich beschließe, meine Ohren zuzuklappen und in dem Teenieladen mit der lauten Musik den roten Holzpapagei zu kaufen.

Was ist geschehen? Eigentlich nichts Besonderes. Eine Verkäuferin ist an einem anstrengenden Ausverkaufsnachmittag immer noch freundlich.

Lene Reckenfelder