Baumeister des Bischofs

■ Der Architekt Karljosef Schattner

Vor wenigen Wochen erhielt der Eichstätter Architekt Karljosef Schattner den Großen Preis des Bundes Deutscher Architekten (BDA). Schattner ist der neunte Preisträger in der exklusiven Reihe von Baumeistern, die sich um die bundesdeutsche Architektur verdient machten. So renommierte Namen wie Hans Scharoun, Mies van der Rohe, Gottfried Böhm oder Oswald Mathias Ungers verleihen der Ehrung ihr Gewicht. Doch wer Schattner und seine Architektur kennt, konnte ahnen, daß die Auszeichnung an ihn in der Luft lag.

Karljosef Schattners Architektur ist geprägt von einem modernen Umgang mit klassischen Motiven der Baukunst. In der unmittelbaren Auseinandersetzung mit historischer Bausubstanz entwickelt er zeitgemäße Lösungen, die den postmodernen Rekonstruktionseifer vergessen lassen. Das wiegt umso mehr, da Schattner als Leiter des bischöflichen Diözesan- und Universitätsbauamtes in Eichstätt, einer barocken Kleinstadt tief in der fränkischen Provinz, mit altehrwürdigen Bauten und deren Sanierung betraut ist.

Mit Kühnheit begegnete Schattner der Eichstätter Barockarchitektur. Als die kirchlichen Residenzen und Bürgerhäuser zu verfallen drohten, machte er sich für den Erhalt und ihre Reparatur stark - mit dem Konzept baulicher Eigenständigkeit, oft Gegensätzlichkeit zur historischen Architektur - das seit rund 25 Jahren als Modellfall für neues Bauen in alter Umgebung steht. Schattner synthetisierte Altes mit Neuem, indem die historische Substanz respektiert und über „Nahtstellen“, wie er es formulierte, der moderne Charakter des Umbaus vergegenwärtigt wurden. Für die kleine Bischofsstadt auf mittelalterlichem Grundriß mit einem Marktplatz, ihrem Dom, den Klöstern und winkligen Wohnbauten, die im Schatten der mächtigen Willibaldsburg liegen, gilt der Diözesanbaumeister deshalb auch als einmaliger Glücksfall, weil der Architekt das Stadtbild weder zerstörte noch zur possierlichen Kulisse verwandelte. Selbst seine jüngsten Neubauten, schnittige Pavillons mit rasanter Textur, nehmen Motive der alten Stadt wieder auf, ohne sie zu karikieren.

Schattners anthithetischer Umgang mit historischer Architektur war vorprogrammiert. Der 1924 in Gommern geborene Architekt studierte nach dem Krieg an der Technischen Hochschule in München und hörte Vorlesungen bei Martin Elsaesser und Franz Hart. Sein eigentlicher Lehrer aber war Hans Döllgast, der einen schöpferischen Umgang mit alter Bauzsubstanz lehrte. Döllgasts Rekonstruktionsideen glichen Interpretationen zwischen alter Architektur und deren Ergänzungen, ließ er doch, etwa beim Neuaufbau der Alten Pinakothek in München, die Kriegswunden am Bauwerk ablesbar und verdeckte die Narben nicht mit nostalgischer Imitation. Die Historie bleibt an der Architektur ablesbar.

Schattners frühe Bauten als Architekt des Bischofs und Leiter des Eichstätter Diözesanbauamtes, dem er seit 1957 vorsteht, sind noch ganz im Zeichen strenger spätmoderner Architektur gebaut. Als 1958 die katholische Bischofskonferenz Bayerns entschied, in Eichstätt eine Pägagogische Hochschule einzurichten, die wenig später zu einer katholischen Universität errweitert wurde, schuf Schattner erste Lehr- und Versammlungsräume (1960-65) aus kantigen Kuben, die sich um einen campusartigen Innenhof gruppieren. Die einzelnen Gebäude werden von einem Betonskelett getragen, das Schattner mit landschaftsbezogenen Bruchstellen ausfachte und seine Architektur den regionalen Besonderheiten anpaßte. Wegen der Nachbarschaft zum Garten der barocken Sommerresidenz entwickelte er für die Gebäude einen zweiten Innenhof, der die rigorose Quaderform der Baublöcke in ein formales Verhältnis zu den Achsen im Park stellt.

Mit der Entscheidung der Eichstätter Stadtverwaltung Anfang der siebziger Jahre, die Dienststellen und Seminarräume für die Universität innerhalb ihrer mittelalterlichen Stadtmauern zu belassen, beginnt für Karljosef Schattner der Umgang mit historischer Bausubstanz, ihrer Erhaltung und Fortsetzung in einer Architektursprache der Gegenwart. Die alten Barockbauten boten sich für eine neue Nutzung durch die Institute ebenso an, wie die obsolet gewordenen kirchlichen Einrichtungen. Schon der Eingriff in das mächtige Haus der ehemaligen Domdechantei (1966) im Zentrum der Stadt glich einer radikalen Transformation. Nach der Rekonstruktion der äußeren Hülle entkernte Schattner den gesamten Bau und entschied sich für eine Raumfolge unter Brückenkonstruktionen aus Beton und Stahl, deren Modernität sich im schlanken Betonportal dem Besucher verrät.

Der Umbau der bischöflichen Sommerresidenz zum Verwaltungsbau der Universität (1971-74) wurde zu Schattners erstem Manifest für den Kontrast von alt und neu an der Fassade. Die Ergeschoßarkaden des Lustschlosses aus dem Jahre 1736 wurden freigelegt, die Glaswände durch kräftige Stahlprofile gestützt, die die Außenhaut jetzt neu rhythmisieren. Im Innern dagegen erfolgte der Dialog. Schattner installierte luftige Bürocontainer, die unabhängig zur einstigen Architektur stehen, berühren sie doch nicht einmal deren Wände, sondern sind als stationäre Kapseln in den Raum gestellt.

Daß Schattner sich bei aller Radikalität immer in Balance mit der alten Bausubstanz befindet und deren Geschichte zum Gegensatz wie zum Spiel seiner Bauten macht, zeigt nicht nur der Umbau des Ulmer Hofes (1978-80), einem Stadtpalais aus dem 17.Jahrhundert, wo durch Schließung der hufeisenförmigen Anlage und die Überdachung der einstige Außenraum zum Innenraum einer Bibliothek verwandelt und mit dem Oberlicht ein sakraler Aufstieg ins Unendliche angespielt wird. In Schattners jüngstem Werk, dem Umbau des Waisenhauses zum Institut für Psychologie und Journalistik (1985-88) kontrastiert er mit dem assoziativen Prinzip der erinnerten Anknüpfung den alten Bau gar mit einer neuen Hülle, die ihm teilweise vorgestellt ist. Die Details aus Stahl und Blech hängen im Bau wie asymmetrische Steigerungen einer unruhigen Idee. Das Material wie die Konstruktionen sind sichtbar. Brücken und Stege liegen frei, selbst die Treppen halten zwischen den alten und neuen Wänden Abstand. Barock und Moderne stehen im Diskurs zwischen Kontinuität und Diskontinuität.

Im Kontrast zwischen Karljosef Schattners Architektur und alter Baukunst deutet sich nicht nur die Geschichtlichkeit des Bauwerks an, sondern ebenso ein Erleben von Zeit. Günter Bahnisch, der die Laudatio zur Preisverleihung hielt, verglich deshalb Schattners Oeuvre mit einem guten Musikinstrument, das, einmal angespielt, Ober- und Untertöne aufklingen läßt. Ein schöneres Bild läßt sich schwer finden.

Rolf R. Lautenschläger