BUNSENBRENNER BUNSENBRENNER Geiler Sound statt Tempolimit

■ Wissenschaft als Promotor der HiFi-Industrie

Der Tacho klettert auf 237 km/h, der Bass wummert, der Hochtöner qietscht, der Fahrer tritt immer gereizter aufs Gaspedal. Wälder huschen wie ein grüner Schweif achtlos vorbei, Menschen bleiben ameisenhaft zurück, und noch immer quält das Autoradio wie eine schrille Stichsäge, die an einen dröhnenden Preßlufthammer gekoppelt ist, des Autofahrers Ohr. Vom Ohr geht das Signal direkt in den Bleifuß. Je schlechter die Anlage, desto ruppiger und vor allem schneller der Fahrstil.

Sind Autoradios verkehrsgefährdend? Das wollte ein HiFi -Hersteller ganz genau wissen. Er beauftragte ein Expertenteam des Instituts für Kommunikationswissenschaft der TU Berlin mit dieser groß angelegten Untersuchung. 337 Versuchspersonen ließen sich jeweils zwei Autofahrten in einem Fahrsimulator vom mehr oder weniger berauschenden Klang des Autoradios hinreißen. Aus den Lautsprechern ertönte das Finale der „Bilder einer Ausstellung“ des russischen Komponisten Modest Mussorgski. Während der ersten Fahrt drangen die Töne in moderater Lautstärke - immerhin der eines Staubsaugers entsprechend - auf die Testpersonen ein. Bei der zweiten Fahrt war maximal erzeugbare Lautstärke angesagt, dem Pegel eines Gewitters gleich.

Bei Gewitterlautstärke waren 71,1 Prozent der Probanden vom Klang begeistert, bei leiser Gangart nur 45,7 Prozent. Doch zugleich hemmten die lauten Töne die Reaktionszeit der Fahrer - im Schnitt um 0,16 Sekunden, das sind 4,4 Meter Bremsweg bei Tempo 100. Mit leiser Musik gings deutlich sicherer: Selbst die besten Reaktionszeiten der Testpersonen, die ganz ohne Musik fuhren, wurden noch unterschritten. Um Munition für den Verkauf hochwertiger und teurer Auto-HiFi-Technik zu bekommen, ließ der Hersteller auch gleich den Einfluß von Klangqualität auf das Fahrverhalten untersuchen. Doch auf die Reaktionszeiten hatten klangliche Unterschiede keinen Einfluß. Anders sah es bei der Geschwindigkeit aus. Lineare Lautsprecher mit idealer Frequenzwiedergabe dämpften die Fahrgeschwindigkeit. Ungenau abgestimmte Speaker mit zuviel Bass oder zuviel Höhen stimulierten dagegen den Fahrer und führten zu erhöhten Tempo.

Fazit der Untersuchung: Wer das Gemetzel auf deutschen Straßen beenden will, muß in die Autoflotte nur sündhaft teure Lautsprecher einbauen und deren Lautstärke auf maximal Staubsauger-Phonzahlen begrenzen. Den Tempo-100-Kämpfern wäre deshalb zu empfehlen, künftig statt Flugblättern lieber HiFi-Boxen zu verteilen. Aber bitte nur mit linearem Frequenzgang, das Stück für 2.000 Mark. Ein Frankfurter Amtsrichter soll gestern erstmals einen rasenden Verkehrssünder zur Nachrüstung seiner Autoanlage verurteilt haben.

man