Streit um Tiso - Faschist oder nationaler Held?

■ In der Slowakei betreiben nationalistische Gruppen die Rehabilitierung von Hitlers Marionette / Klare Worte von Premier Calfa

Aus Prag Hans-Jörg Schmidt

Eine nicht sonderlich große Gedenktafel, in dem unscheinbaren slowakischen Flecken Banovce nad Bebravou enthüllt, hat in der Tschechoslowakei für helle Aufregung gesorgt. Zwei Wochen lang stritt man sich, ob derjenige, dem diese Gedenktafel galt, denn wirklich geeignet sei, geehrt zu werden. Es bedurfte eines Machtwortes der Regierung, um die ebenso spektakuläre wie unerfreuliche Angelegenheit zumindest vorerst zu den Akten zu legen. Ministerpräsident Marian Calfa bezeichnete die Einweihung der Gedenktafel als einen für Europa beispiellosen Vorgang, der dem guten Ruf der CSFR als einem Land, das jetzt Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verwirklicht, auch im Ausland schweren Schaden zugefügt habe.

Wer ist nun derjenige, dem hierzulande einige unbedingt huldigen wollen? Es handelt sich um Josef Tiso, einen 1887 geborenen Slowaken, der zunächst Theologie studierte, den es aber in den zwanziger Jahren in die Politik zog. In der klerikal-faschistischen slowakischen Volkspartei des Pfarrers Hlinka gelang ihm schnell ein Aufstieg zum Vizechef. Später, unter Tisos direkter Führung, arbeitete diese Partei auf einen Separatstaat hin, was bei den zumeist religiösen, politisch unerfahrenen und vom laizistischen wie zentralistischen Prag nicht selten gedemütigten Slowaken auf fruchtbaren Boden fiel. Am 14. März 1939 war es dann soweit

-der Separatstaat wurde proklamiert - mit Unterstützung und letztlich auf Weisung Adolf Hitlers.

Was folgte, war eine schreckliche Leidensgeschichte der Slowaken, denn Tiso übertraf mit seiner Vasallentreue selbst die Erwartungen seiner Lehrmeister an der Spree. An der Seite Nazi-Deutschlands trat er in den Krieg ein. Tausende Slowaken fanden auf sein Geheiß an der Ostfront den Tod. Für die Daheimgebiebenen wurde das Überleben auch zu einer Rassenfrage, denn Tiso brachte in seinem Staatsgebilde, in dem er zunächst als Premier und dann als Präsident fungierte, die Nürnberger Gesetze zur Anwendung. Allein vom Frühjahr bis zum Herbst 1942 bedeutete das für 58.000 slowakische Juden den Weg in die Gaskammern. Die Wirtschaft des Landes, die sich durch Konfiskationen tschechischen und jüdischen Eigentums bereichert hatte, erlebte einen kurzzeitigen konjunkturellen Aufschwung, was namentlich auf das Konto der Rüstungsbetriebe ging, die fünfzig Prozent aller in der Industrie tätigen Arbeitskräfte beschäftigten. Nach Kriegsende verurteilte das Oberste Gericht der Tschechoslowakei Tiso zum Tode, und im Frühjahr 1947 wurde er hingerichtet.

„Wer immer auch heute einen solchen Mann verehrt“, so Marian Calfa vor den Parlamentsabgeordneten, „der stellt sich hinter eine menschenverachtende Politik des Nationalismus und des Rassenhasses, der Diskriminierung, Verfolgung, Einschüchterung und schließlich des Genozids.“ Wer aber sind diejenigen, die meinen, Tiso gehöre heute zum Helden gemacht? Droht hier vielleicht faschistisches Gedankengut aus einer Ecke Europas, aus der man so etwas überhaupt nicht erwarten durfte? Das wäre sicher zu hoch gegriffen.

Zweifellos aber muß man auf slowakische Kreise verweisen, die es sich in den Kopf gesetzt haben, in einer Zeit, da man sich auf dem Kontinent über die Sinnlosigkeit von Grenzen zunehmend einiger wird, sich abermals in einem eigenen Nationalstaat abzuschotten. Sie fühlen sich im täglichen Leben gegenüber Böhmen und Mähren benachteiligt, unberechtigterweise, wie man in Prag sagt. Daß die Chancen so schlecht nicht stehen, heute mit nationalistischen Parolen im slowakischen Landesteil Anhänger um sich zu scharen, zeigten die Demonstrationen in der Slowakei im Zusammenhang mit dem neuen Namen für die Föderation der Tschechen und Slowaken. Dort verbanden sich Forderungen nach voller Unabhängigkeit mit der Aufforderung, das Tiso-Regime historisch neu zu bewerten. Ansichten dieser Art reichen bis in die Reihen der slowakischen christlich-demokratischen Partei, immerhin der zweitstärksten Kraft des Landes. Sie erfreuen sich auch wohlwollender Unterstützung des Bischofs von Nitra. Selbiger ließ es sich nicht nehmen, der Tiso -Gedenktafel seinen Segen zu geben. Sicher auch ein Umstand, der den Ministerpräsidenten Calfa, übrigens auch Slowake, veranlaßt haben mag, so klare Worte zu finden.

Aber noch ist die Kuh nicht endgültig vom Eis. Über das weitere Schicksal der zunächst einmal demontierten Gedenktafel wird nämlich nicht in Prag, sondern in Bratislava entschieden. Und von hier sieht man manches aus einem anderen Blickwinkel. Der slowakische Innenminister Andreas jedenfalls meinte bislang lediglich, die Würdigung Tisos sei voreilig geschehen. Möglicherweise also muß man sich auf neue Versuche einer schleichenden Rehabilitierung des Kriegsverbrechers einrichten. Sollten die Extremisten mit ihrer Sicht der Neubewertung Tisos durchkommen, hätte das fatale Folgen für die Rückkehr der Tschechoslowakei nach Europa.