Eine Illusion bricht zusammen

■ In Zukunft große Flächen, hochmoderne Maschinen, viel Monokultur, Gift und Dünger

Die DDR-Landwirte stecken in der Klemme: Auf der einen Seite müssen sie ihre laufenden Ausgaben decken, um weiterproduzieren zu können, andererseits können sie ihre Produkte kaum noch versilbern. Die Banken halten sich mit Krediten zurück, weil die Landwirte keine Sicherheiten zu bieten haben. Da sie nur Nutzer, aber nicht Eigentümer des von ihnen bewirtschafteten Bodens sind, können sie es nicht zur Finanzierung laufender Kosten und Investitionen beleihen. Eine Regelung des Bodenrechts und des Nutzungsrechts des Bodenbewirtschafters steht noch aus.

Die weiterverarbeitende Industrie in der DDR kann die Produkte kaum noch abnehmen, weil sie selbst vor der Pleite steht. Die im Vergleich zu BRD-Genossenschaften unrentablen DDR-Molkereien können zum Beispiel nur 50 Pfennig pro Liter Milch bezahlen, um kostendeckend zu arbeiten - für die LPGs liegt dieser Preis aber unter der Schmerzgrenze. Ein Drittel der Molkereien konnte seit Juli die Lieferungen überhaupt nicht mehr bezahlen. Als Helfer in der Not bieten sich westliche Handelsgesellschaften und Weiterverarbeitungsbetriebe an - sie zahlen schnell, aber weit unter dem EG-Preisniveau.

Durch das neue Marktordnunggesetz des DDR -Landwirtschaftsministeriums sind zwar Interventionsstellen eingerichtet worden, die Agrarprodukte zu garantierten Mindestpreisen abnehmen und einlagern, aber sie werden von den Landwirten bislang kaum genutzt. Von den vier Millionen Tonnen Getreide, die an die Interventionsstellen verkauft werden könnten, sind bisher nur 369.000 Tonnen tatsächlich angemeldet worden. Das Interventionsverfahren geht den Landwirten, die sofort Bares sehen wollen, zu langsam. Die Qualitätsmusterung der angebotenen Produkte kostet noch viel Zeit, da es noch zuwenig Prüfer gibt.

Die Bauernverbände machen den Handel für die Agrarkrise verantwortlich und verweisen darauf, daß immer noch Handelsspannen von 50 Prozent eingestrichen werden, während die Produzenten vor dem Ruin stünden. Doch an dem stockenden Absatz sind nicht nur die weiterverarbeitende Industrie und die Händler schuld, Grundlage für die Überproduktion von DDR -Agrarprodukten ist auch ihre mangelnde Wettbewerbsfähigkeit gegenüber EG-Produkten.

Die 4.520 Agrarbetriebe der DDR (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften, Volkseigene Güter und Gärtnerische Produktionsgenossenschaften) sind weitaus größer als die Betriebe der BRD-Bauern: Der Durschnittsbetrieb in der DDR bewirtschaftet 1.285 Hektar, in der BRD beträgt die durchschnittliche Betriebsgröße 17,7 Hektar - wobei 43 Prozent der privatwirtschaftlich betriebenen Höfe der BRD im Nebenerwerbsbetrieb bewirtschaftet werden. Und dennoch ist die Produktivität der BRD-Agrarbetriebe weitaus höher. Pro Hektar produzieren die BRD-Betriebe durchschnittlich 50,1 Doppelzentner Getreideeinheiten, die Genossenschaften in der DDR nur 33,2 Doppelzentner - etwa ein Drittel weniger.

Nach einer Untersuchung der Vereins- und Westbank ist die Ausstattung der DDR-Landwirtschaft mit Maschinen weit schlechter als in der BRD. Die Maschinen werden höher ausgelastet, was zu Ausfällen von bis zu 30 Prozent der Gesamtarbeitszeit führt. Die Überkapazitäten bei der Fleisch - und Milchproduktion erklären sich nach dieser Studie aus der Anfang der 70er Jahre erfolgten Trennung landwirtschaftlicher Genossenschaften in Betriebe der Feld und Viehwirtschaft.

Die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften der DDR sind gegenüber der westlichen Agrarindustrie nicht konkurrenzfähig, obwohl sie von den Strukturen her auf großindustrielle Nahrungsmittelproduktion ausgelegt sind. Nichts anderes war ja das Glaubensbekenntnis der kommunistischen Landwirtschaftsstrategen: weg von der kleinkarierten Parzellenwirtschaft der Privatbauern - hin zum industriell geplanten Einsatz landwirtschaftlicher Technologie. Das war nur mit riesigen Anbauflächen möglich, auf denen Maschinen, Pestizide und Düngemittel weitaus effektiver eingesetzt werden konnten als auf den vergleichweise kleinen Flächen der Privaten. Und in der DDR gab es schon Massentierhaltung, als die westdeutschen Landwirte noch gar nicht wußten, was das überhaupt ist.

In keiner anderen Branche schien es den DDR-Ideologen einleuchtender, die Überlegenheit sozialistischer Produktionsformen über die privatbäuerliche Kleinkrämerei zu demonstrieren. Auch diese Illusion ist nun zusammengebrochen - und zwar nicht an der jahrzehntelang forcierten Tendenz zur Agroindustrie, sondern an den Strukturschwächen der bürokratisierten Staatsökonomie. Rund 30 Arbeitskräfte pro tausend Hektar Ackerfläche sind nach westlichen Maßstäben rentabel. In den meisten landwirtschaftlichen Betrieben der DDR sind es mehr als hundert. Ein überdimensionierter bürokratischer Wasserkopf lastet auf den Betrieben. Ganze Dörfer leben nur von der LPG, die Kindergärten, Kantinen, Freizeitheime und sonstige Einrichtungen betreibt. Das alles hat mit effektiver landwirtschaftlicher Produktion nichts zu tun und ist auch dort dem Untergang geweiht, wo einzelne Betriebe überleben.

Viele landwirtschaftliche Betriebe werden diesen Sommer nicht überleben - und diejenigen die überleben, können es nur, wenn sie radikal rationalisieren, d. h. Leute rausschmeißen. Massenarbeitslosigkeit auf dem Lande wird in jedem Fall entstehen. Der zukunftsträchtige, konkurrenzfähige landwirtschaftliche Betrieb in der DDR aber wird, so ist zu befürchten, die agroindustrielle Produktionsweise auf die Spitze treiben: wenig Leute, große Flächen, viele hochmoderne Maschinen, viel Monokultur mit Gift und Dünger, und die Tierfabriken müssen auch noch auf den modernsten Stand gebracht werden. Viele landwirtschaftliche Flächen in der DDR können, weil die Betriebe pleite gegangen sind, demnächst möglicherweise stillgelegt und vielleicht sogar ökologisch rekultiviert werden. Diejenigen die überleben, werden einer ökologischen Erneuerung der Landwirtschaft im vereinten Deutschland eher im Wege stehen.

Martin Kempe/Eva Weber