Der bremische Rauschgifthandel - aus polizeilicher Sicht

■ Interview mit Drogenfahnder Michael Haase:Über die „sogenannte Kurdenfrage“, das organisierte Verbrechen u.a.

Michael Haase leitet bei der Bremer Kriminalpolizei die Dienststelle für organisierte Kriminalität und Rauschgift. Er ist „Bremens oberster Drogenfahnder“ und würde lieber große Fische fangen, als im Steintor nach Heroin-Päckchen zu suchen.

taz: Wie würden Sie den Bremer Rauschgiftmarkt beschreiben?

Michael Haase: Grundsätzlich zweigeteilt. Der erste Bereich ist der, wo sich Bremen für die eigene Szene versorgt. Der zweite Bereich ist der, wo große Mengen durch Bremen laufen, wo Bremen aber letzlich nur als Transitort dient: Wo zur Abwicklung solcher Deals hochkarätige Leute hier einfliegen und anschließend

wieder verschwinden - da haben Sie also nur noch in den First-Class-Hotels Kolumbianer, Bolivianer. Logischerweise kriegen wir von diesem Bereich der Rauschgiftszene relativ wenig mit, weil das verdeckt abläuft, nach nachrichtendienstlichen Methoden.

Man darf nicht den Fehler machen und sagen, nur weil im Steintor an der Sielwallkreuzung die Leute öffentlich sitzen: Das ist der Brennpunkt. Inzwischen hat sich die Drogenszene flächendeckend über das ganze Stadtgebiet ausgebreitet: Walle/Gröpelingen, Osterholz-Tenever, Neustadt, Bremen-Nord.

Die öffentliche Diskussion ent

zündet sich nur an einschlägigen Adressen in Gröpelingen oder im Steintor.

Michael Haase: Das ist ja leider so, daß die Bevölkerung nur immer dann reagiert, wenn sie selbst betroffen ist. Solange das Drogenproblem möglichst weit weg ist - ich sage mal scherzhaft: stillgelegte AG Weser: Wenn sie da alle handeln und fixen und umfallen - interessiert das keinen Menschen. Nur wenn das vor dem eigenen Haus passiert, wird der Bürger hellwach. Aus Gröpelingen war eine Abordnung von Bürgern hier und hat ganz klar gesagt: Wenn das Innenressort nicht dafür sorgt, daß die Dealer verschwinden, werden wir eine Bürgerwehr aufbauen. 'Wenn Ihr das nicht macht, denn schießen wir die Türken vom Bürgersteig.‘ Es ist natürlich für den Bürger auch ein bißchen unverständlich und für uns auch, wenn eigenartigerweise immer dieselben Leute mit Rauschgift kontrolliert werden und die sich immer weiter hier im Stadtgebiet bewegen. Es müßte da schneller zu Verurteilungen kommen. Wenn der Politik da nichts einfällt, wird es einen Rechtsruck geben. Sie können dem gekündigten Werftarbeiter in Gröpelingen nicht klar machen, wieso der 25jährige Kurde X., der 14 mal mit Heroin gegriffen worden ist, hier noch rumrennt und vom Sozialamt bezahlt wird und einen BMW fährt. Und das nervt, das nervt auch hier die Kollegen, weil das an die Motivation geht.

Welche Nationalitäten spielen überhaupt eine Rolle?

Michael Haase: Beim Heroin ist es zur Zeit in Bremen so, daß fast der gesamte organisierte Kleindeal und Straßenhandel in der Hand kurdischer Täter ist. Diese Leute kommen alle aus einem ganz bestimmten Bereich in der Türkei. Dort wird der Rauschgifthandel von Familienclans organisiert. Von diesen Clans kommen Angehörige hier rüber, öffnen hier den Markt, bauen hier den Handel auf. Es entsteht ein Nachzugseffekt. Es ist also nicht so, daß der arme Zuwanderer X. mittellos herüber kommt, völlig verängstigt vor der großen Konsumwelt steht und anfängt zu dealen. Das

ist ein Märchen. Sondern es sieht so aus, daß selbst Leute, die sich erst ganz kurze Zeit hier aufhalten, genau wissen um ihre Rechte als Beschuldigter und entsprechende Anwälte kennen. Man merkt also, daß diese Leute ganz gezielt vorbereitet auf diese Tätigkeit kommen.

Ich habe selbst jemanden interviewt, der als Asylbewerber aus Kurdistan gekommen ist, jung war, nicht Arbeiten durfte, mit der Sozialhilfe nicht auskam und angefangen hat zu dealen: Für die Wohnungseinrichtung, für den Führerschein.

Michael Haase: Natürlich gibt es auch solche Fälle. Das bestreiten wir auch nie. Nur die Masse der Fälle ist ganz anders gelagert.

Aber ich will das gar nicht an den Kurden festmachen, weil das Thema auch immer politisiert wird. Fest steht: Bis vor vier Jahren waren die dominierenden Gruppen im Heroinhandel Türken und Tamilen. Türken sind traditionell im Heroinbereich tätig, das ist auch logisch, weil das da auch angebaut wird. Anstelle der Tamilen sind die Kurden hochgekommen, und damit auch das 'sogenannte Kurdenproblem‘.

hierhin bitte die Mohnkapseln

Schlafmohn - Grundstoff für Opiate

(Angeritzte Mohnkapseln)

Beim Kokain sieht es wieder ganz anders aus. Im Klein- und Zwischenhandel dominieren überwiegend deutsche Täter, während der Überbau in der Hand südamerikanischer Gruppen ist. Im Cannabis-Bereich sind führend traditionell die Libanesen, Schwarzafrikaner, Marokkaner. Das ist auch logisch, weil das die potentiellen Hersteller-Länder sind.

Wer also glaubt, daß man mit

der Ausweisung aller Kurden aus Bremen - ich übertreibe jetzt mal - den Heroinhandel im Griff hat, der irrt gewaltig. Weil: Wenn alle Kurden aus Bremen weg wären, würden natürlich neue Gruppierungen in dieses Vakuum reinstoßen.

Warum treten Sie dennoch dafür ein, kurdische Dealer auszuweisen?

Michael Haase: Wir aus polizeilicher Sicht sind natürlich dafür, daß man Leute ausweist, die offensichtlich nicht aus echten Asylgründen hierher kommen, sondern die nur Asyl beantragen, um einen gewissen Status in Anspruch zu nehmen, um hier mit Betäubungsmitteln zu handeln. Wir haben wirklich schon genug Straftäter hier und Rauschgifthändler, da müssen wir uns also nicht noch massenweise welche importieren.

Sie müssen das mal ganz wertfrei sehen: Es ändert sich durch Ausweisung an dem Phänomen wenig, es ändert sich nur die Täterstruktur.

Das, was wir in Bremen haben, ist eine Erscheinung, die mit anderen Ausprägungen in allen Großstädten der Bundesrepublik zu beobachten ist. In Hamburg ist es zum Beispiel soweit, daß die Kurden schon ganze Immobilien-Projekte aufkaufen. Das Syndikatverbrechen basiert ja auf den Verbrechen von Clans. Als nächster Schritt nach dem Rauschgift kommt die organisierte Zuhälterei, die Hehlerei. Und da diese Gruppen sehr finanzstark sein werden, werden sie auch die Macht haben, andere legale Bereiche zu übernehmen, und sie werden auch in der Lage sein, Leute des öffentlichen Lebens zu korrumpieren. Und das ist aus meiner Sicht mit die größte Gefahr.

Was fordern Sie von der Politik, damit Sie als Rauschgiftfahnder arbeiten können?

Michael Haase: Die Beweislastumkehr bei Vermögensgewinnen. Denn wir können gegen den organisierten Drogenhandel nur dann etwas erwirken, wenn wir die Leute dort treffen, wo ihr Nerv sitzt: Und das ist die finanzielle Basis. Frankreich, England, die Schweiz, die haben da ganz

andere Sanktionsmöglichkeiten.

Heute ist es so: Wir nehmen laufend Leute fest, zum Beispiel auch unsere kurdischen Täter. Die sind Sozialhilfeempfänger, haben einen Asylantrag gestellt, und überweisen aber monatlich drei-oder viertausend Mark in die Türkei und bei denen finden wir unter der Matratze siebentausend Mark. Und nach dem jetzigen System ist es so: Wenn wir nicht im Detail nachweisen können, daß dieses Geld unter der Matratze durch Drogengeschäfte erworben worden ist, muß der Mann die Summe wiederbekommen. Deshalb fordern wir eine Beweislastumkehr. Dann würde das festgestellte Vermögen eines Beschuldigten beschlagnahmt werden, es dürfte sich nichts mehr bewegen. Kann er nicht nachweisen, daß das aus legalen Geschäften stammt, verfällt das gesamte Vermögen mit dem Urteilspruch 'schuldig‘ an den Staat. Aber es gibt eine unwahrscheinliche Lobby in den Parlamenten. Wir haben damals versucht, diese Beweislastumkehr für alle Fälle des organisierten Verbrechens durchzudrücken - und dazu hätten auch sogenannte 'Schmiergeldaffairen‘ gehört: Nukem/Alkem, Imhausen, die Antes-Affaire in Berlin, wo Bordellbesitzer, Gewerkschafter und CDU-Angehörige drinhingen...

Wir fordern auch die Möglichkeit, das nicht öffentlich gesprochene Wort mitzuhören, z.B. mit Richtmikrophonen. Das einzige, was wir dürfen, ist den Fernmeldeverkehr überwachen, aber die Täterkreise, um die es geht, unterhalten sich nicht über Telefon, die sind doch nicht verrückt.

So bremst uns die Gegenseite immer wieder aus. Zur Zeit sieht es ja so aus, daß wir uns vornehmlich auf Täter stürzen, die dumm genug sind, sich erwischen zu lassen, die dumm genug sind, bei der Polizei mehr zu sagen, als ihren Namen und die zu wenig Geld haben, um sich hochkarätige Anwälte zu leisten. Aus dieser unsozialen Strafverfolgung kommen wir nur raus, wenn wir die Mittel in die Hand bekommen, gegen die Straftäter vorzugehen, die weit höher angesiedelt sind.

Gespräch: Barbara Debus