Vorläufige Dialoge

■ Fünf Künstlerinnen im Verborgenen Museum und in der Galerie Neue Räume: Aufeinanderfolgendes und Gegenläufiges

Bilder sind nicht erklärungsbedürftig. Wer sie anschaut, weiß: Sie sprechen für sich. Mit dieser Einsicht läßt sich aber kaum für eine Ausstellung werben. Das verführt dazu, über die KünstlerInnen selbst zu sprechen und zu notieren, was sie im Grund beabsichtigen und eigentlich meinen. Damit verschwinden zwar die Bilder aus dem Blickfeld, aber die PR -Phrasen laufen wie geschmiert. Und irgendwann ist über alles geredet und nichts gesagt - wie bei überaus nettem Vernissagengeplauder. Die Damen und Herren, die Ausstellungen betreuen, erzählen viel und gerne von den KünstlerInnen, ihren Reisen, Absichten, Preisen, Marktpositionen, biographischen Daten. Das interessiert aber einen Gast - wie mich - überhaupt nicht. Klatschgeschichten und Anekdoten sind das Material für Biographien.

Es geht allein um die Bilder. Sie sprechen für sich, sind weder immer erklärungsbedürftig, noch mit Absichten zu drapieren. Die Ausstellung von Hampke, Kühn, Schwagmeyer und Weimann, die unter dem Titel Sichtbar - Verbunden im Verborgenen Museum eine gemeinsame Präsentation eigener Arbeiten ausgerichtet haben, ist dafür ein Beispiel. Keine der Künstlerinnen stellt Einzelbilder vor. Jede arbeitet mit Zyklen, Bildfolgen, Variationen, die um eine jeweils eigene Bildidee rotieren. Die einzige Ausnahme - und der Ruhepunkt der Ausstellung - ist ein Ready-made von Renate Hampke. Sie nahm ein Knopftableau, auf dem sich wie auf einem Leporello zwei Knopfreihen mit dem strahlenden Lächeln von Frau Saubermann abwechseln, und klemmte diese ausgelaufene Ware hinter das Glas eines wuchtig breiten Rahmens. Die Knöpfe sind dem Gebrauch entzogen und der Wert dem handelsüblichen Preis. Wer sie anschaut, weiß: Jetzt sprechen sie für sich.

Alle anderen Arbeiten stehen in einem dialogischen Verhältnis zu den anderen. RENATE HAMPKE bevorzugt Zweierkonstellationen. Links ein Quadrat und darin ein Kreis, rechts ein Kreis und darin ein Quadrat, das nennt sie entsprechend Entgegengesetzte Lösungen. Links ein Karton, aus dem handtellergroße Formen ausgeschnitten sind, rechts ein Karton, an den diese Formen geheftet sind, um bei Luftzug zu flattern, das nennt sie Aufeinanderfolgende Lösungen. Der Titel verdoppelt das, was sie hergestellt hat. Das spricht für sich.

UTE SCHWAGMEYER arbeitet mit drei und neunteiligen Schriftfolgen. Sie stanzt in reinweißen Karton weiße Zeichen und färbt eines der Zeichen mit ins Auge springendem Gelb und Orange. Auf ähnliche, aber diskretere Weise, weil ohne Eyecatcher, hatte Maria Eichhorn in Ceterum Censeo weiß auf weiß ein Wittgenstein-Zitat geschrieben und weiß auf weiß gezeichnet: eine Herausforderung der Wahrnehmung und ästhetisch geschützt durch avancierte Theorien. Schwagmeyer verläßt sich eher auf Sinneseindrücke und übernimmt in ihren mehrteiligen Arbeiten piktogrammatische Kürzel japanischer Zeichensysteme. Es bleibt der sinnliche Reiz allein. Die Bedeutungen gehen verloren. Es bleiben der Rhythmus der Wiederholungen und der Akzent im Farbklecks.

CHRISTINE KÜHN zeigt eine miserabel gehängte zweiteilige Arbeit, die nebeneinander gesetzt werden müßte entsprechend der Bildstruktur -, aber offenbar aus Zeitnot, Konkurrenzdenken oder Gleichgültigkeit im 90-Grad-Winkel über Eck gehängt wurde. Sie ist die flächenmäßig größte Arbeit und kann sich als das, was sie ist, nicht entfalten. Das tiefgründige Ultramarin, durchblitzt von Silberfolie und gereizt durch Rot, braucht Raum und ein angemessenes Licht, um das zu entwickeln, was auch der Titel verspricht: Movement. Dabei beweist Kühn durch ihre zehnteilige Arbeit Eisbilder, daß es gerade das Verhältnis von einem Blatt zum anderen, von einem Motiv zum anderen, von Nähe und Ferne ist, das ihre Vorgehensweise bestimmt. Die Abstände sind nicht gleichgültig. So etwas wie Landschaften wechseln mit den 1:1-Abdrücken von einer Hand. Angedeutete Ferne alterniert mit unmittelbarer Nähe. Die Farben sind matt. Entscheidend für den Rhythmus ist neben dem Motiv die Farbdichte. Sie ist sichtbar kalkuliert. Daß ihre größte Arbeit ins Eck gesetzt wurde, spricht daher wohl doch für sich selbst. Denn die Künstlerin ist auf Reisen.

GISELA WEIMANN bringt die Variation einer Bildidee am prägnantesten zur Geltung. Das Einzelbild wird auch bei ihr durch die Wiederholung nicht nivelliert. Das Noch-einmal bestätigt immer wieder die Bildidee und ergibt im Stakkato der Variation eine ruckartige Bewegung von einem Bild zum anderen. Das prägt sich ein. Und führt bei Weimann, die daraus ein Prinzip gemacht hat, zu Selbstzitaten und zur Bearbeitung von vorherigen Motiven, die sich wiederum mit anderen verbinden. Es entsteht im Verlauf der letztjährigen Arbeiten eine Art Sog, in dem die zu zeichnenden und zu malenden Bilder immer schon da waren und die Malerin zur Ausführenden eines umrissenen Planspiels wird, das keinen Ausgang offenhält und das K.B. Müller vor zwei Jahren als „ständige Selbstauflösung, Demontage und Neukonstruktion“ beschrieb. „Statt des Werkes ist eine ständige Bewegung und Verflüchtigung auszumachen, ein sich ständig selbst anheizender Kreislauf. Alles wird Material für den nächsten Schritt - es gibt keinen Abfall mehr.“ Das trifft noch immer, und die Titel bestätigen es: Ergänzte Restbestände; Teile des Ganzen; Gedankenfetzen.

Es gibt mehrere mögliche Gründe, weshalb diese Malerinnen kein Einzelbild in die Ausstellung gegeben haben. Sie forcieren die Wahrnehmung von einem Bild zum anderen und betonen den Bewegungsablauf sowohl in der Produktion als auch in der Sehweise. Ergebnis: potenzierte Bilderflut. Oder sie trauen dem Einzelbild nichts mehr zu, als Ergebnis eines grundlegenden Bildzweifels. Was sichtbar wird, ist nicht etwas, was für sich stehen kann. Es folgen eine Ergänzung, ein Kontrast, ein Zusatz als Variable einer Bildidee. In diesem Sinne sind die Malerinnen „sichtbar-verbunden“.

Der Bildzweifel zeigt sich auf ganz andere Weise, aber exzessiv bei DOROTHEE ZEPPERITZ in der Galerie Neue Räume. Sie scheint ihrer Malerei wenig zuzutrauen, wischt über bereits Gemaltes wieder mit dickem Quast drüber, überklebt mit Zeitungsausschnitten, Pappe, Drucken und malt betont häßlich. Ein Grün wie bei Munch neben schlierig Geweißeltem. Das Wohlgeformte, ideal proportioniert Gelungene läßt sie niemals stehen, sondern lasiert mit einer Schmutzfarbe darüber, imprägniert es mit Widerstand. Neben einem Glamourgirl, das Zepperitz wie eine Folie eines Abziehbildes auf die Leinwand setzt, krakelt sie dicht daneben eine Knochenhand. Figuren - halb Skelett, halb Fleisch - strecken ihre knochigen Arme aus. Abgemagerte, alte Männer liegen verschrumpelt in Totenbetten. Schablonenartig gemalte Jungfrauen neben abgewrackten Greisen, neben ganzen Zeitungsseiten, die bereits Gemaltes verdecken. Sie malt immer das gleiche Bild und hinterläßt jedes im Rohbau, treibt es gemäß ihren Vorhaben nicht zu einem konsequenten Ende, scheint vor der eigenen Obsession plötzlich zurückzuzucken und beginnt noch einmal von vorne.

Zu sehen ist der unmittelbare Ausdruck der Nichtentscheidung. Zepperitz hat sich als Malerin dafür entschieden, sich nicht zu entscheiden. Es gibt keine einzige satte Farbe, keinen einzigen klar gesetzten Strich, auch keine eindeutig ambivalente Komposition. Alles fahrig, zitterig, verwerfend: nicht aus Unvermögen - denn in den ausgestellten Aquarellen sind die Striche sparsam und entschieden -, sondern aus Manie - an keiner Stelle ist ein Bemühen zu sehen, „schön“, gekonnt, technisch versiert zu malen. Sie malt vielmehr sichtbar gegen jeden Farbklang, gegen jede Harmonie. Häßlich aber ist nicht das Gegenteil von „schön“, sondern von klar konstruierter und durchgeführter Komposition.

In der 'Morgenpost‘ ist sie als „Tochter von ...“ vorgestellt worden. Da wird sich der Papa freuen, und das Kind von 33 Jahren hat's offenbar wieder nicht gepackt. Auch nicht mit diesen außerordentlichen Bildern, die unmittelbarer Ausdruck von Gegenläufigkeiten und einem Wust von widerstreitenden Bewegungen sind. Deshalb sind sie sehenswert: weil sie so vieles verdecken, daß es in die Augen springt. Das gelingt ästhetisch.

Peter Herbstreuth

Sichtbar - Verbunden. Das Verborgene Museum, Schlüterstraße 70, Berlin 12. Di. bis So. von 15 bis 19 Uhr, leider nur noch heute.

Dorothee Zepperitz. Galerie Neue Räume, Lindenstraße 39, Berlin 61. Di. bis So. von 17 bis 2 Uhr, ebenfalls nur noch heute.