Am Ende der Welt

■ Dieter Weihls Debutfilm „China Lake“ - Eine Hommage an die Apathie

Zwei Männer, eine Landschaft - im gleichen verwüsteten Zustand. So karg und erstarrt wie der eintönige Landstrich in Nevada sind auch die Handlungen von Vater und Sohn. Der Vater ist dermaßen abhängig vom Fernseher, daß man einen Kreislaufkollaps fürchten muß, sobald ihn irgendetwas dazu zwingt, die Augen vom Bildschirm abzuwenden. Das kleine Glück seines Sohnes Scooter besteht darin, auf dem Autofriedhof nach einem Lautsprecher zu stöbern, den er im Fond des Wagens installiert, nachdem er kurzerhand mit dem Lötkolben ein Loch in die Plastikverkleidung gebrannt hat.

Alles in dem ersten Film des amerikanischen Regisseurs Dieter Weihl verharrt in Apathie. Auch die Ankunft der Tante, die Scooters Schwester Laura mitbringt, reißt die kaputte Wohnwagenwelt nicht aus dem verfluchten Trott der Langeweile. Zwar wird jetzt das Motiv der nervlichen Zerrüttung klarer, da die ganze Familie unter dem frühen Tod der Mutter leidet. Aber erst nach zähen Stunden des Schweigens entspinnt sich zwischen den Geschwistern eine zarte Beziehung, die von der Spannung lebt, daß Laura ebenso gut Scooters Geliebte sein könnte.

Nichts interessiert Dieter Weihl weniger als eine spannend konstruierte Geschichte. Ihm geht es vor allem um starke Momente innerhalb der alles umfassenden Erstarrung, die jedoch nicht mit Leere gleichzusetzen ist. Weihls Figuren fühlen tief im Innern so etwas wie Zuneigung füreinander, sie haben es nur verlernt, sie zu äußern. In der Enge des Wohnwagens sind sie sich nah, näher denn je, aber dennoch bleiben sie isoliert - in fast autistischer Selbstbezogenheit, getragen von einer seltsamen Lust am ewigen Elend.

Mit weißen Wüstenwölkchen am blauen Himmel und mit der pittoresken Wohnwagenszenerie zielt Weihl auf das Erinnerungsvermögen des Zuschauers und wühlt Kinomythen auf. Bilder wie von Wim Wenders geträumt. Dialoge wie von Jim Jarmusch erdacht, mit einem jungen Helden, in dem sich die Eigenschaften von James Dean, Matt Dillon oder anderen Outlaws zu einem Typ destilliert haben, dessen Stärke in seiner Schwäche liegt. Merkwürdig ist nur, daß man sich diese Mischung gern gefallen läßt und die Anlehnungen als eigene Geschichte akzeptiert. In seiner episodischen Erzählweise sucht Weihl das Unerklärliche an seinen Figuren nach und nach zu bestimmen, ohne dem Drang zur Sozialromanze nachzugeben. Sein Film ist die Vision einer Vereinsamung und deren Durchbrechung - in betont künstlichen Bildern, mit einer Sprachlosigkeit, die besimmt ist von einer Trägheit der Bewegungen. Lange Einstellungen, langsame Fahrten begleiten die matten Gesten der Menschen, die ebenso ausgeglüht sind wie die tote Landschaft an diesem Ende der Welt.

Der Ausbruch Scooters mit seiner Schwester - ein paar Tage im selbstgebastelten Cabrio nach Las Vegas - führt zurück in die klaustrophobische Atmosphäre des Wohnwagens. Was bleibt, sind die wenigen Stunden während des Ausfluges, in denen es Laura gelingt, die Lethargie ihres Bruders aufzubrechen. Da kann sich plötzlich die Wüste in ein unendliches Meer verwandeln, und Scooter klettert auf die Motorhaube des Wagens - auf dem Blech balancierend gleich einem Surfer, der mit seinem Brett die Fluten der wogenden Trockengräser zerteilt. Höhepunkt einer Imagination, die hoffen läßt.

Um so jäher reißt Weihl uns zurück in die triste Realität. Der Trip ist zu Ende. Laura und Tante Edna reisen ab, und alle Hoffnung landet mit dem Gepäck im Greyhound-Bus. Zurück bleiben Vater und Sohn, doch diesmal hat sich etwas bewegt. Der Vater rückt vom Beifahrersitz ans Steuer; zum ersten Mal seit langem will er den Wagen fahren. Ein Zeichen, winzig zwar, aber so vielsagend wie der ganze Film.

Christof Boy

Dieter Weihl: China Lake. Mit Joe Toppe, Amiela Richter -Hart u.a., USA 1989