Schwarzröcke, Schwarzhändler - reine Herzen

■ Die Religion kehrt in die Schulen zurück / Doch im Zuge der Verwestlichung beginnt der katholische Einfluß zu bröckeln

Aus Warschau Klaus Bachmann

Nach mehreren Wochen heftiger Debatten in den polnischen Massenmedien und Wohnzimmern ist es jetzt soweit: Die Religion kehrt in die Schulen zurück - vorübergehend zwar, und nur mit Zustimmung von Eltern und Schülern, aber die Entscheidung des Erziehungsministeriums ist ein Zeichen. Die aus der „Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei“ PVAP hervorgegangene Sozialdemokratie hat auch prompt Verfassungsklage dagegen angekündigt - denn Polens Verfassung schreibt einen neutralen Staat vor. Wie die Debatte um die Verschärfung der Abtreibung, so wirft auch die Rückkehr der Kirche in die Schulen ein deutliches Licht auf die Moralvorstellungen in Polen - Moralvorstellungen, auf die sich auch die Demokratisierung ausgewirkt hat.

Noch vor wenigen Jahren verkündeten polnische Soziologen nicht ohne Stolz, die Ansichten der Jugendlichen unterschieden sich kaum von denen ihrer Eltern: Sie hielten Patriotismus, Tradition, Freiheitsideale, den Wunsch nach Demokratie und Pluralismus und die Religion hoch. Denn dies alles waren Werte, die von Polens damaligem Herrschaftssystem unterdrückt wurden. Deshalb manifestierte sich die Ablehnung des Regimes vor allem im sonntäglichen Kirchgang, in der Teilnahme an Pilgerzügen nach Tschenstochau und in demonstrativ zur Schau getragener Unterstützung für die Kirche. Jahrzehntelang bekämpfte Polens Kirche Verhütung und Abtreibung, doch die Zahl der Abtreibungen stieg - aber selbst Frauen, die abgetrieben hatten, beteiligten sich nicht nur weiter am kirchlichen Leben, sie äußerten sogar öffentlich Unterstützung für die Kampagnen der Kirche.

Dieser Burgfriede beginnt aufzubrechen, seit der Druck von oben weggefallen ist. Dennoch wäre es zu einfach, Polens Katholizismus auf Antikommunismus zu reduzieren. Es werden nun Brüche deutlich, die schon lange bestanden haben, jedoch unter den Teppich der gemeinsamen Sache gekehrt wurden. Meinungsumfragen zum Thema „Religion in der Schule“ ist zu entnehmen, daß sich zwar 90 Prozent aller Befragten zu Gläubigen erklärten, aber nur 60 Prozent auch zu Befürwortern einer Rückkehr der Religion in die Schulen. Das Bekenntnis zu Kirche und Katholizismus hindert allerdings nur wenige daran, dem im Alltag zuwiderzuhandeln.

Ausgerechnet aus den Dörfern und Kleinstädten, wo Polen am konservativsten ist und die Kirche am wenigsten an Unterstützung verloren hat, kommen Polens Schwarzhändler und Schmuggler. Die Kirche verurteilt diesen Handel natürlich schärfstens. 25-35 Jahre alt sei der „durchschnittliche Händler“, stellte das Hauptzollamt Warschau in einer „Händlercharakteristik“ fest, über die sich die Presse vor einigen Monaten erheiterte. Soziologen fanden heraus, daß gerade die Generation der 30-40jährigen, die die Zerschlagung von Solidarnosc und die Kriegsrechtszeit miterlebte, die am meisten demoralisierte Schicht ist. Die Zahl der harten Alkoholiker wird auf eine Million geschätzt. In dieser Zahl finden sich zunehmend Jugendliche. Das ist allerdings keine Folge der Wirtschaftsreform oder der steigenden Arbeitslosigkeit - der Prozeß begann vor drei Jahren.

Daß damals auch gerade Polens Grenzen sich gen Westen öffneten, ist da natürlich Wasser auf die Mühlen jener, die

-wie manche Pfarrer - behaupten, für die Demoralisierung sei die Verwestlichung, sprich Porno, Prostitution, die Aussicht auf den schnellen Dollar, verantwortlich. Mit westlichem Gedankengut sind allerdings auch Umweltbewegung und Pazifismus nach Polen gekommen. Die von der älteren Generation hochgehaltenen traditionellen Werte geraten dabei immer mehr ins Hintertreffen. Die Gesellschaft, und damit auch die Jugend, verliert dadurch an Geschlossenheit. Aber sie ist offener geworden.