: Wer hat wen womit ausgehalten?
■ Pressepolemiken zwischen Polen und der Sowjetunion / Gegenseitige Forderungen in Milliardenhöhe
Aus Warschau Klaus Bachmann
Zwischen der Sowjetunion und Polen ist ein heftiger Streit über die beiderseitigen Wirtschaftsbeziehungen entbrannt, bei der sich beide Länder gegenseitig in Pressekommentaren beschuldigen, den anderen über den Tisch ziehen zu wollen. Entbrannt ist der Streit zur gleichen Zeit, in der auf Expertenebene über die Umstellung der Außenhandelsverrechnung vom Transferrubel auf den Dollar verhandelt wird.
Die Auseinandersetzung begann mit einem Artikel in der sowjetischen Zeitung 'Argumenti i Fakti‘, die Polen vorwarf, auf einseitige Vorteile auszusein. Polen habe in den letzten zwei Jahren seine Lieferungen an die Sowjetunion zurückgehalten, um zu verhindern, daß die polnischen Schulden gegenüber der Sowjetunion getilgt werden können. „Früher hat die UdSSR Polen dafür, daß es sich in ihrer Einflußsphäre befand, ausgehalten. Jetzt soll wohl die UdSSR dafür zahlen, daß Polen einmal in dieser Sphäre lag“, schrieb die Wochenzeitung.
Die polnische Regierungszeitung 'Rzeczpospolita‘ hielt dagegen, die Wirklichkeit sehe genau umgekehrt aus. Die polnische Regierung klagt bereits seit geraumer Zeit, daß die Sowjetunion ihre Lieferungen an Polen verzögere, insbesondere bei Energie- und Treibstofflieferungen, die die PolInnen aufgrund des künstlichen Wechselkurses zu Preisen erhalte, die unter dem Weltmarktniveau lägen.
Besonders in der letzten Zeit kommt hinzu, daß viele polnische Betriebe über den Rahmen der zweiseitigen Handelsprotokolle hinaus in die Sowjetunion exportieren, was Polens Außenhandelsüberschuß gegenüber der Sowjetunion erhöht und die Inflation anheizt, da die polnischen Betriebe damit Transferrubel horten, für die sie zwar nichts importieren können, die aber gewechselt und im Inland ausgegeben werden dürfen.
Zugleich möchte Polen diese Überschüsse nicht auf seine Schulden in der UdSSR anrechnen, da sonst im Westen, mit dem ein Moratorium über die Rückzahlung der Auslandsschulden verhandelt werden soll, ein schiefes Bild entstünde. Daran erinnerte auch die 'Rzeczpospolita‘ und wies darauf hin, daß die „einseitigen Vorteile“ auf beiden Seiten bestehen, je nachdem, welche Branche herangezogen wird.
Stanislaw Dlugosz, Unterstaatssekretär im Zentralen Planungsamt, urteilt: „Seit 1985 hat sich unser Export in die UdSSR dynamischer entwickelt als unsere Einkäufe dort.“ Allerdings wurden diese Geschäfte, ebenso wie die Gegengeschäfte, aufgrund eines völlig aus der Luft gegriffenen Wechselkurses verrechnet. Damit wurde Polen gezwungen, seine in die UdSSR exportierten Schiffe weit unter Weltmarktniveau zu verkaufen und damit zu subventionieren, während umgekehrt die Sowjetunion Treibstoff unter Weltmarktpreisen lieferte. Nun fordert die UdSSR die Bezahlung von etwa 4,5 Milliarden Rubel Schulden, während Polen 4,2 Milliarden zurückfordert, die durch die Preisgestaltung bei polnischen Montagearbeiten in der UdSSR, besonders beim Bau von Gasleitungen, entstanden sind.
Daß die sowjetische Presse gerade jetzt Polen attackiert, hat neben „verhandlungstaktischen“ auch noch andere Gründe. Um die unerwünschten Außenhandelsüberschüsse mit der UdSSR abzuschaffen, hat Polen inzwischen einen zweiten, „inoffiziellen“ Rubelkurs eingeführt, der für Lieferungen außerhalb der noch bis 1991 geltenden Handelsprotokolle gilt. Während der offizielle Kurs 2.100 Zloty pro Rubel beträgt, werden für außerplanmäßige Lieferungen nur noch 1.000 Zloty pro Rubel getauscht. Der neue Kurs gilt auch für Zusatzlieferungen in andere RWG-Länder wie etwa die DDR oder Ungarn, die ihren Handel mit Polen ebenfalls noch über Transferrubel abrechnen. Diese Maßnahme wird den Exportdrang polnischer Betriebe in Richtung Sowjetunion mit Sicherheit zügeln.
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