Der Weltpolizist hält nichts von einer neuen Energiepolitik

■ Die Bush-Administration schickt lieber Soldaten an den Golf, als der Industrie geringeren Ölverbrauch vorzuschreiben oder die Benzinsteuern zu erhöhen

Aus Washington Rolf Paasch

Nach dem Ölschock kam das große Gejammer. Während sich die amerikanischen GIs im saudischen Wüstensand einbuddeln, um das schwarze Gold zu schützen, befällt die Daheimgebliebenen ein plötzlicher Anfall energiepolitischer Selbstreflexion.

„Wir haben die letzten 17 Jahre nach der Vervierfachung des Ölpreises völlig vertan“, kritisierte kein geringerer als Expräsident Jimmy Carter die US-amerikanische Abneigung gegen jegliche Diskussion einer Energiepolitik in Friedenszeiten. Carter war der letzte gewesen, der in den siebziger Jahren versucht hatte, die US-BürgerInnen zu einem verantwortlicheren Energieverbrauch zu erziehen. Doch spätestens seit Mitte der achtziger Jahre hat sich der vorübergehend gesetzlich gelinderte Öldurst der Vereinigten Staaten wieder verstärkt.

So verbrauchen die USA heute mit ihren zwei Prozent der Weltbevölkerung und vier Prozent der Weltrohölreserven ein Viertel der Weltölproduktion und sind damit gleichzeitig der Welt größter Ölimporteur.

Während Europa seine Energieeffizienz seit 1980 um rund 30 Prozent gesteigert hat, sind die USA drauf und dran, die Sparerfolge der frühen Achtziger wieder rückgängig zu machen. Der New Yorker Energieexperte Charles Komanoff schätzt, daß das Land heute 1,6 Millionen Barrel pro Tag weniger verbrauchen würde, wenn der Trend zum Sparen aus den Jahren zwischen 1976 und 1986 auch danach weitergegangen wäre.

Damit hätte die USA auf die Importe aus Kuwait schmerzlos verzichten können - zumindest rechnerisch.

Zwar ist die US-Volkswirtschaft heute besser auf einen erneuten Ölschock vorbereitet als 1973 oder 1979, im internationalen Vergleich jedoch wird der jüngste Ölpreisanstieg die Wettbewerbsfähigkeit der USA weiter schwächen. Die derzeitigen 26 Dollar pro Barrel dürften schon ausreichen, um die dahinsiechende Ökonomie endgültig in die lange vermiedene Rezession zu stürzen.

In Westeuropa, so schätzt Peter Gutmann, Ölexperte bei der Londoner National Westminster Bank, müßte schon die 40 -Dollar-Marke überschritten werden, um den gegenwärtigen Boom zu gefährden. Die US benötigt zur Herstellung ihrer Güter 2,5 mal soviel Öl wie die japanische Konkurrenz und 1,5 mal soviel wie die bundesdeutsche Wirtschaft.

Jeder Ölpreisanstieg um einen Dollar pro Barrel wird den japanischen Handelsbilanzüberschuß um 1,3 Milliarden Dollar verringern, das US-Handelsbilanzdefizit jedoch um mehr als 2,6 Milliaren Dollar vergrößern. Bereits im letzten Jahr machten die Kosten für das importierte Öl - rund die Hälfte des US-Verbrauchs - mit 49 Milliarden Dollar 45 Prozent des US-Handelsbilanzdefizits aus.

Kein Wunder, daß seit dem irakischen Einmarsch in Kuwait in den USA plötzlich fieberhaft nach schnellen Alternativen gesucht wird. Doch der Spielraum dafür, Ölimporte noch mehr durch Kohle zu ersetzen, sind seit der Ausweitung der Kohleproduktion ab 1979 recht beschränkt. Vor allem aber hat die neue Ölkrise den Druck auf die Bush-Administration erhöht, das präsidiale Verbot weiterer Ölbohrungen vor den Küsten Floridas, Kaliforniens und Alaskas wieder rückgängig zu machen.

Die Ölindustrie drängt dabei vor allem auf die Freigabe des „Arctic National Wildlife Refuge“ in Alaska, unter dem sich angeblich 3 Milliarden Barrel befinden. Umweltschützer halten dem entgegen, daß die Ausbeutung des Feldes in Alaska mit der angestrebten täglichen Produktion von nur 290.000 Barrel die Umweltschäden nicht wert ist.

Statt neue Gesetzesentwürfe zur Freigabe der Küstenbohrungen einzubringen, fordert Jim Young, Experte der Umweltorganisation „Sierra Club“, sollte der Kongreß besser dem ihm vorliegenden Gesetzesentwurf zustimmen, der der Autoindustrie bis zum Jahre 2001 die Entwicklung benzinsparender Motoren vorschreibt.

Hätte die Reagan-Administration zusammen mit der Autoindustrie einen ähnlichen Gesetzentwurf Mitte der achziger Jahre nicht blockiert, so hätte dies bereits in wenigen Jahren die gesamten Ölimporte aus Saudi Arabien, Kuwait und dem Irak überflüssig gemacht.

Die Aussichten, daß sich solche kriseninduzierten Einsichten auch politisch umsetzen lassen, sind allerdings selbst in der gegenwärtigen Situation gering. Als der Vorsitzende des Ölkonzerns Conoco in der letzten Woche eine Benzinsteuer von 50 Cents pro Gallone (80 Pfennig auf 3,7 Liter) forderte - was für Vertreter der Ölindustrie nicht gerade alltäglich ist -, mußte er seinen Vorschlag gleich wieder relativieren. „Ich glaube nicht, das es genügend Politiker mit Rückgrat gibt“, so der gute Mr.Nicandros, „um eine solche Steuer durchzusetzen“.

Dabei würde jeder Cent pro Gallone das Haushaltsdefizit um jährlich eine Milliarde Dollar reduzieren, was doch angeblich Republikanern wie Demokraten so am Herzen liege.

Die Hoffnung Jimmy Carters und anderer auf eine nationale Energiepolitik, ohne die beispielsweise eine Ausbeutung der beträchtlichen Gasreserven in den USA unprofitabel ist, scheint heute noch illusorischer. Für die Ideologen der freien Marktwirtschaft in der Bush-Administration war es schon der Intervention zuviel, den jetzigen Preisschock durch ein vorübergehendes Anzapfen der staatlichen Ölreserven zu lindern.

Ob es denn nicht mehr Sinn ergebe, die Abhängigkeit vom Golf-Öl durch eine gezielte Energiepolitik zu reduzieren, fragte da sarkastisch der Kolumnist Tom Wicker in der 'Washington Post‘, „statt dafür zu sterben?“.

Für George Bush scheint die Antwort auf diese Frage klar. Er schickt lieber bewaffnete Stoßtrupps nach Saudi-Arabien, statt daheim ein Stück jener Planwirtschaft zu praktizieren, wie sie in allen übrigen westlichen Industrieländern wie selbstverständlich ist.