„Wir wollen Mekka und Medina schützen“

■ Zehntausende Ägypter melden sich freiwillig in Kairo zum Einsatz in Saudi-Arabien / Revanche für die schlechte Behandlung ägyptischer Gastarbeiter im Irak / Auch islamische Fundamentalisten wollen gegen Saddam Hussein marschieren

Aus Kairo Detlef Schmidt

In den ohnehin chronisch verstopften Straßen der Nil -Metropole Kairo ist seit Tagen überhaupt kein Durchkommen mehr. Besonders dicht ist das Gedränge in der Nähe der Botschaften von Golf-Staaten. Vor der saudischen Vertretung stauen sich Hunderte zumeist junge Männer, die nach Formularen fragen. Sie wollen sich als Freiwillige zur Verteidigung des wahhabitischen Königreiches Saudi-Arabien melden. Die Fragebögen werden sofort auf der Straße ausgefüllt. Name, Geburtsname, Anschrift, Beruf, Paßnummer und als letztes und wichtigstes: der Dienstgrad in der ägyptischen Armee. Polizisten sammeln die Fragebögen ein und stapeln sie zu Tausenden im Empfangshäuschen der Botschaft. „Wir hoffen aber“, so ein Angestellter der Botschaft, „daß wir nicht auf das militärische Hilfsangebot zurückgreifen müssen.“

Fast alle Berufsgruppen sind unter den Bewerbern vertreten. Viele der Freiwilligen sind jedoch schon seit längerem arbeitslos. Auf die Frage, ob sie denn hoffen, mit ihrem eventuellen Einsatz an der irakischen Grenze Geld zu verdienen, winken die meisten aber sofort ab. „Nein, das ist nicht der Grund. Wir müssen Saddam Hussein stoppen, weil er ein Mörder ist und viele unserer Brüder getötet hat.“ Ein anderer zitiert den Koran: „Wenn sich unter den Gläubigen zwei Parteien streiten, so stifte Frieden unter ihnen!“

Unter den Wartenden sind etliche mit wallenden Bärten. Bärte sind auch in Ägypten das Erkennungszeichen islamischer Fundamentalisten. Angesprochen darauf, warum sie nach Saudi -Arabien wollen, wo sie doch dann Seite an Seite mit amerikanischen Soldaten stehen, antwortet einer: „Wir wollen unsere heiligsten Stätten in Mekka und Medina schützen. Nicht nur vor den Irakern, sondern auch vor den Andersgläubigen aus Nordamerika und Europa.“ Nach einer Weile fügt sein Freund hinzu: „Den Amerikanern geht es doch nicht um den Schutz der Kaaba, sondern ums Öl.“

Angesichts Tausender von ägyptischen Freiwilligen, die das saudische Königreich verteidigen wollen, glaubt in Kairo niemand, daß es auch am Nil zu ähnlichen Demonstrationen wie in der jordanischen Hauptstadt Amman kommen könnte, wo nicht nur religiöse Eiferer und Palästinenser Saddam Hussein, dem „Helden aller Araber“, ewige Treue gelobten und sich am liebsten dem „Heiligen Krieg“ des Bagdader Herrschers anschließen würden. Sogar der von Fundamentalisten dominierte Kairoer Studentenverband unterstützt die Entsendung ägyptischer Truppen nach Saudi-Arabien. An der Hochschule Al-Azhar, der ältesten islamischen Universität, sind derzeit Gelehrte damit beschäftigt, penibel alle „Verstöße“ aufzulisten, die Saddam Hussein gegen den Koran begangen hat.

Eine für vergangenen Dienstag von Nasseristen geplante Demonstration gegen die „imperialistische Flottenpräsenz im Golf“ wurde kurzfristig abgesagt. Die Veranstalter befürchteten ein Ausbleiben der Massen. Zu tief sitzt bei vielen Ägyptern derzeit der Haß gegen den Mann in Bagdad. Die Menschen am Nil haben die irakischen Ausschreitungen gegen ihre Landsleute im vergangenen Winter nicht vergessen. Damals kam es in Bagdad und anderen Städten zu pogromähnlichen Übergriffen, als Tausende entlassene irakische Soldaten Arbeitsplätze brauchten. Ägyptische Gastarbeiter mußten fluchtartig das Zweistromland verlassen. Das einzige, was sie mitnehmen durften, waren 50 US-Dollar und ein Koffer mit persönlicher Habe. Ähnliches befürchtet man auch jetzt. Ägyptens Außenminister Meguid forderte die irakische Regierung bereits auf, die Sicherheit der am Tigris lebenden Ägypter zu garantieren. Saddam Hussein ermahnte sein Volk daraufhin, „Ägypter wie Freunde“ zu behandeln.

In der vergangenen Woche berichtete eine ägyptische Zeitung, daß auf dem Kairoer Flughafen zwanzig Leichen aus Bagdad angekommen seien. Über die Todesursache schwieg man sich aus. Seit ägyptische Soldaten am vergangenen Wochenende in die saudische Wüste geschickt wurden, greift die Angst unter den noch knapp zwei Millionen Ägyptern im Irak und dem annektierten Kuwait um sich. Bis zu zweitausend von ihnen landen täglich in Nuweiba, dem Fährhafen am Roten Meer. Meist sind sie mit Hilfe von Beduinen illegal über die Grenzen nach Saudi-Arabien oder Jordanien geflüchtet. Das meiste Geld hätten ihm irakische Soldaten abgenommen, berichtete ein Heimkehrer, der in Kuwait als Bauarbeiter beschäftigt war. Der Rest sei dann für den Grenzübertritt draufgegangen. Eigentlich wollte er sich mit dem Ersparten ein Geschäft in Kairo aufbauen. Doch nun steht er wieder genauso arm in Ägypten, wie er es einst verlassen hat.

Während Kairos Busbahnhöfe in diesen Tagen zu Endstationen flüchtender Gastarbeiter werden, verließen am Mittwoch morgen 2.000 weitere ägyptische Soldaten den Kairoer Flughafen in entgegengesetzter Richtung. Sie flogen nach Saudi-Arabien.