Müllmänner bitten zur Kasse

■ Gebührenerhöhung um 34 Prozent geplant / Umweltsenatorin: „Jede Mark bestens angelegt“

Seidenunterwäsche, Videorekorder, Krimsekt sind es schon. Ab 1.1.1991 wird für viele Bremer ein weiterer Luxusartikel dazukommen: ihr eigener Müll. Für alles, was tagtäglich in Bremer Mülltonnen landet, will Umweltsenatorin Eva-Maria Lemke-Schulte ihre Besitzer - ausgerechnet im Bürgerschafts -Wahljahr - kräftig zur Kasse bitten. Um 34 Prozent sollen die Müllgebühren im Durchschnitt steigen. In Mark und Pfennig: Für den Single-Haushalt mit klassischer 35-Liter -Tonne werden jährlich 114 Mark statt bislang 84 Müll-Mark fällig. Eine vierköpfige Familie muß sich sogar auf Müll -Mehrkosten von 70 Mark pro Jahr gefaßt machen.

Trotz des drastischsten Preissprungs in der Geschichte der Bremer Müllgebühren hofft Lemke-Schulte auf das Verständnis der zu Kasse Gebetenen. „Jede einzelne Mark ist bestens angelegt“, erklärte die Umweltsenatorin gestern. Denn: Mit den zusätzlichen Einnahmen will Lemke-Schulte dafür sorgen, daß den Bremern der Inhalt ihrer Müllton

ne nicht später als verpestete Luft, als vergiftetes Grundwasser, als kontaminierter Boden oder als belastete Nahrung wiederbegegnet. Lemke-Schulte: „Die Umstellung von der Abfallbeseitigung auf die Abfallbewirtschaftung ist nicht nur eine der dringendsten Aufgaben, sie kostet eben auch sehr viel Geld.“ Rund 80 Millionen will sich Lemke -Schulte den Fortschritt vom Müll-Konzept der Vergangenheit (Abholen und Verbrennen) zur neuen Abfallbewirtschaftung (Vermeiden und Wiederverwerten) allein im nächsten Jahr kosten und von Bremer Haushalten und Gewerbebetrieben per Müllgebühr rückerstatten lassen. Den zugehörigen Investitionsplan hat der Senat bereits einstimmig abgesegnet. Gestern stimmte auch die zuständige Bürgerschaftsdeputation mit den Stimmen der SPD zu.

Und dafür will Lemke-Schulte das Geld ausgeben: Mit 35 Millionen ist die neue Rauchgaswäsche für die Bremer Müllverbrennungsanlage einer der dicksten Brocken. Bis zur

endgültigen Stillegung 1997 soll aus dem MVA-Schornstein nur noch so viel Gift rauskommen, wie die inzwischen verschärften Richtlinien erlauben.

Weitere 46 Millionen werden fällig für eine Erweiterung

der Blockland-Deponie. Nachdem die bisherigen Deponie -Flächen nahezu erschöpft sind, sollen 11 Hektar zusätzlich ausgewiesen und mit einer „super-spitzenmäßigen Ton-Kies -Abdichtung„(Lemke-Schulte) ausgestattet werden. Lemke -Schulte: „Zum Schutz des Grundwassers muß uns das beste gerade gut genug sein.“

Fast die gleiche Summe werden drei Privatfirmen nach

Absprache mit der Umweltsenatorin in Aufbereitungsanlagen für Bauschutt investieren. Damit teure Deponiefläche künftig nicht mehr mit Resten von Senatsgäste- und anderen Häusern zugeschüttet werden, sollen Bremer Baufirmen verpflichtet werden, ihren Schutt so zu recyceln, daß er z.B. im Straßenbau eingesetzt werden kann. Die drastisch erhöhten Gebühren (Lemke-Schulte: „Deutlich über 100 Prozent“) sollen nicht nur die drei Unternehmen finanzieren, sondern auch zur „Schutt-Vermeidung“ anreizen.

Etwa 2,5 Millionen Mark jährlich will Lemke-Schulte sich

43,5 neue Stellen kosten lassen. Die neuen Mitarbeiter sollen unter anderem als Abfallberater, bei der Sammlung und Sortierung von Sondermüll mit dem „Schadstoff-Mobil“ und bei der Sperr

müllabfuhr eingesetzt werden.

Mehr Arbeit kommt auf die Müllabfuhr auch durch die

geplante Ausweitung der Wertstoffsammlung in Bremer Hochhaussiedlungen zu. Nachdem schon heute in Blockdiek, Blumenthal und Lüssum der Müll nur noch sortiert in „wiederverwertbaren“ und „Restmüll“ abtransportiert wird, sollen jetzt auch die gesamte Vahr und Findorff in das Modellprojekt einbezogen werden. Lemke-Schultes besonderer Stolz: Selbst CDU-Umweltminister Klaus Töpfer ist von dem Bre

mer Projekt so begeistert, daß er es mit 2,2 Millionen fördern will. Arbeitsmarktpolitischer Nebeneffekt: 11 „Abfallberater“, die bei Anwohnern, Beiräten und Ortsämtern die Werbetrommel für die getrennte Müllsammlung rühren, können nach langen ABM-Jahren jetzt mit festen Stellen rechnen.

Damit die neue Gebührenordnung zum 1. Januar 92 in Kraft treten kann, müssen ihr jetzt noch der Haushaltsausschuß und die Bürgerschaft zustimmen.

Klaus Schloesser