: „...Ich bin sicherlich soweit Demokrat geworden“
■ Beim Zweiten Motorisierten Schützenpanzerregiment in einer Kaserne in Stahnsdorf, südwestlich von Berlin / Der neue Alltag in der Nationalen Volksarmee: Die Offiziere haben extreme Schwierigkeiten mit ihrer Identität, die einfachen Soldaten haben extreme Schwierigkeiten mit dem Geld / Deutsche Kontinuitäten: Otto Graf Lambsdorff diente hier schon in der Wehrmacht
VON UTE SCHEUB
STAHNSDORF
Und natürlich haben sie immer alle ihr Bestes getan. Gedient halt. Das Vaterland verteidigt. Jawoll. So wie Otto Graf Lambsdorff. Der, so erzählt ein Oberstleutnant des „Zweiten Motorisierten Schützenpanzerregiments“ der NVA in Stahnsdorf vor den Toren Berlins, der habe auch zu den Veteranen gehört, die schon „unter Adolf“ hier gedient hätten. Bereits bei der Olympiade der Nazis im Jahre 1936 seien die hiesigen Schießanlagen genutzt worden, „und seitdem, seien wir ehrlich, ist nicht mehr viel dran gemacht worden“. Vor kurzem hätten die Veteranen drum gebeten, sich den stacheldrahtbewehrten Gebäudekomplex noch einmal ansehen zu dürfen, der jetzt immer noch als Kaserne dient. „Ja, und Lambsdorff ist hier auch abgestiegen.“ Deutsche Kontinuität in Brüchen.
Oh ja, er hat dem Vaterland auch gedient, der Herr Kommandeur Thieme des 2.Mot.Sch.Reg. Allen politischen Wetterwenden zum Trotz hat er sich in seinem Amtszimmer vor einer schon angedunkelten DDR-Flagge in die neue Zeit hinübergerettet. Auch er habe sich dem von Verteidigungsminister Eppelmann „befohlenen“ neuen Fahneneid unterworfen, betont der Kommandeur ausdrücklich. Auf seinem Resopal-Schreibtisch windet sich grünes Plastikefeu. Wie soll ein jahrelang treu der Partei dienender Berufskader auch zugeben können, daß er vollständig überfordert ist mit den neuen Umständen?
Komm. 2.Mot.Sch.Reg. Thieme verläßt die Deckung hinter seinen militärischen Begriffen nicht. Den Fotografen verwarnt er, hier bloß nicht „mit der Kanone wild in der Gegend herumzuschießen“. Die Reporterin belehrt er, man werde „eine Protokollstrecke aufbauen“. Und beiden zusammen gibt er gleich einige militärische Leitsätze mit: „Nicht die Waffe ist das Primat, sondern die Munition.“ Sorgfältig, geradezu klinisch verpackt er wie viele Militärs seine Worte, damit sie nicht an Leben und Tod erinnern. Der Mensch Thieme verdrängt und wird verdrängt.
Denn ob er bleiben darf, wenn die Bundeswehr eines Tages seinen Laden übernimmt - „und wir müssen ja auch ordentlich übergeben“, sagt Thieme - das ist höchst fraglich. „Die entsprechenden Entscheidungen werden gegenwärtig getroffen“, doch mehr weiß der Kommandeur nicht. Oder, um es in seiner Sprache auszudrücken: „In der Desolatheit dieses Staates ist der Arbeitsplatz des Soldaten, der entlassen wird, in Gefahr.“
Schon am 31.10. berichtet Thieme, müßten die Offiziere gehen, die früher Wehrkunde unterrichteten, „und damit ist viel Leid verbunden“. „Man“, sagt er, „man hat sich doch auch mit der Partei identifiziert.“
Wehrhaft zu sein, das hat er gelernt. Fragen beantwortet er, bevor sie gestellt sind, Anwürfe wehrt er ab, bevor sie geäußert werden: „Die Armee hatte sehr wohl eine Akzeptanz im Volk.“ So wie im Jahr 1988, beim Hochwasser-Einsatz, habe die halbe NVA auch im letzten Jahr in der Wirtschaft gestanden, „und im Winter trugen wir den alten Frauen die Kohle rein“.
Und das alles soll nun bald zu Ende sein? Nicht doch, ein Kommandeur hat gelernt, was seine Pflicht ist: „Vertrauen in die Vorgesetzten - auch in die Politik des Ministers Stoltenberg. Denn die Politiker bestimmen“, kurzer Schnaufer, „und sie sind gnadenlos.“
Der Oberstleutnant, der dann doch für einen lockeren Presserundgang ohne Protokollmätzchen sorgt, sagt es ähnlich: „Ich bin ein Linker. Ich bin loyal gegenüber der Regierung, und es fällt mir schwer.“ Auch er war Berufskader, auf 28 Jahre verpflichtet, von denen er nun acht Jahre runter hat. Damals in der SED, heute in der PDS. Seine Bemühungen, ehrlich mit der eigenen Vergangenheit umzugehen, lassen unter der Uniform den Menschen durchscheinen. „Keiner hat die Wende verarbeitet“, behauptet er, im Klubraum der Soldaten sitzend, über seinen Berufsstand. „Erst gestern habe ich mich mit einem Offizier unterhalten, der 28 Jahre das war, was man einen glühenden Patrioten nannte. Jetzt ist er im Vorruhestand und schottet sich ab gegenüber der Welt.“ Auch er selbst habe „Schwierigkeiten, das innerlich mitzumachen und zu begreifen“, aber er bemühe sich. Dann ein kleiner, aber bezeichnender Versprecher: „Ich bin sicherlich soweit Demokrat geworden.“
Einzige Aufgabe: Selbstverwaltung
Ein Untergebener schleppt eine Kanne schwarzen Kaffee heran. Der Umgangston ist nachgerade freundlich, der scharfe, schrille Drill von einst hat sich verflüchtigt. Aber jetzt, wo nur eine Wachmannschaft übriggeblieben ist und ein neuer Lehrgang von Wehrpflichtigen erst wieder im September gezogen wird, wirkt das Leben im Schützenpanzerregiment eh geruhsamer. „Unsere einzige Aufgabe besteht darin“, sagt der Oberstleutnant, „uns selbst zu verwalten.“
Denn solange nicht abgerüstet werde, könne man natürlich auch nicht aufhören, „das Objekt“ und vor allem seine Waffen und seine Munition zu bewachen. Schon mehrmals hätten „Entwendungsversuche“ abgewehrt werden müssen.
Und die Abrüstung, das mache sich ja niemand so richtig klar, „die wird noch Jahre dauern und viel Geld kosten“. Der Oberstleutnant zeigt auf die vor den Wartungshallen ordentlich gereihten Schützenpanzer, darunter auch einige „Eisenschweine“ - Uraltmodelle aus den fünfziger Jahren. „Einen Panzer zu verschrotten, das macht Zigtausende von Mark.“ Immerhin aber sei gerade ein zur gleichen Division gehörendes Munitionslager aufgelöst worden, und demnächst werde man eine weitere Kaserne in der Nähe räumen.
Am 7. Oktober
an der Mauer
Abrüsten, räumen, weggehen - das geht denn doch an die Substanz. Irgendwann bricht eine wehmütige Erinnerung an die alten Zeiten durch: „Damals, als wir noch eine richtige Armee waren.“ Der Oberstleutnant meint ausgerechnet den heißen Herbst 1989, „da hatten wir acht Wochen Dauerstreß“. Am 40. Jahrestag der Republik, als die Demonstrationen groß und die Spannungen kurz vor dem Explodieren waren, stand sein Regiment in Berlin an der Mauer - vorbereitet, munitioniert, mit Gummiknüppeln ausgerüstet. Und was wäre gewesen, wenn...? „Ich glaube nicht, daß es dazu gekommen wäre, daß wir unseren Leuten befehlen, auf Wehrlose zu schießen.“ Pause. „Aber mit letzter Sicherheit weiß man gar nichts.“
Doch selbst unter den einfachen Soldaten wünscht sich so mancher eine „richtige Armee“ zurück. Die Wiedervereinigung „am besten schon morgen“ möchte einer von ihnen, „dann kommt das gewisse Extra wieder rein, und Gelder für die Armee.“ Aber warum denn überhaupt noch Militär? Er zuckt die Achseln - Dienst am deutschen Vaterland, das sitzt abgrundtief. Er selbst, 21 Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder, hat allerdings aus akuten Geldnöten gerade seine vorzeitige Entlassung beantragt: „Ich bekomme 250 DM Sold, meine Frau kriegt 500 DM Arbeitslosenunterstützung, wie soll man da vier Personen ernähren?“
Seine Stube teilt er sich mit sieben „Kameraden“, die gerade polternd vom Wacheschieben kommen. Helme und Rucksäcke fliegen auf die Spinde, Jacken werden auf die abgeschabten Etagenbetten geworfen. „Beschäftigungstherapie“ sei das hier, nichts sonst, findet ein Dunkelhaariger. Sechs Uhr Wecken Frühsport und Exerzieren sind mit der Wende und dem neuen Verteidigungsminister abgeschafft worden - Frühstück, Wacheschieben, Mittag, 16.15 Uhr Dienstschluß und Ausgang bis in die Puppen. Sogar die mehrwöchige Grundausbildung wurde auf acht Tage reduziert. „Und unsere Obersten wissen ja gar nicht mehr, was sie für Befehle geben sollen.“
Die meisten sehen nicht so aus, als ob sie besonders drunter leiden würden. Nur bei der Verpflegung sei das schmerzlich: „Auf gut deutsch, das Essen ist miserabel.“ Viel Büchsenfraß, wenig Nachschub: „Nach der Währungsunion haben viele Betriebe nicht mehr geliefert.“
Die Armee - das ist jenseits gedanklicher Kontinuitäten der eigentliche Bruch - steht nicht mehr an erster Stelle. Die blausamten ausgeschlagene Vitrine mit der ultimativen Aufforderung „Erwirb die Soldatenauszeichnungen“ gähnt leer in den Kasernenflur hinein, die Plastik -Osterglocken vor den Gefechtsgemälden im Treppenhaus wirken wie Dekorationen aus fernen Zeiten. „Freundschaft für immer“ mit den sowjetischen Genossen, verkündet eine verblassende Parole.
Hoffentlich.
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