Von erlesener Verlogenheit

■ „Willkommen in Niedersachsen“, Mi., 15.8., ZDF, 20 Uhr

Die sommerliche Sendereihe Willkommen in... führte das Zweite Deutsche Fernsehen unter anderem in die 150.000 -Seelen-Gemeinde Osnabrück, wo auf dem historischen Marktplatz Live-Atmosphäre simuliert wurde. Dieser Marktplatz darf gewöhnlich von örtlichen Veranstaltern nicht einmal für Folklorekonzerte genutzt werden; wenn aber das ZDF sich breitmacht, wird Unmögliches möglich, zum Beispiel die mehrtägige Sperrung des sonst ach so wichtigen Verkehrsweges im Herzen der Stadt.

Seit Wochen schon lagen örtliche Presse, Kommunalpolitiker und Verwaltungsbeamte im Fernsehrausch. Mit Feuereifer und skrupulöser Würdelosigkeit war man bemüht, den Gästen zu Willen zu sein, versprach man sich doch einiges an Werbung für die Hansestadt. Wer aufgrund der TV-Bilder Osnabrück besucht, wird enttäuscht sein: Regisseur Eppinger spitzte seine Kameraleute streng auf Idylle und Pittoreske. Für die Zuschauer vor dem Gerät besteht Osnabrück nur aus ein paar Quadratmetern (zum Teil importierter) Vorzeigealtstadt, einem alten Rathaus und einer Kirche. Der gleich nebenan liegende Flachbauklotz und die Wiederaufbaufassaden blieben beim ständig wiederholten Standardschwenk sorgsam ausgespart. Auch alle anderen Bilder aus Niedersachsen waren klischeegesättigt und von erlesener Verlogenheit. Zur Not wurde, wie beim Auftritt des Duos Pat&Paul, die Heide elektronisch nachgefärbt.

Moderator Wolfgang Lippert, ein unwürdiger Junggreis mit gelegentlichen Anfällen Alzheimerscher Verstörung, meldete sich so vieldeutig wie zutreffend mit den Worten: „Wir befinden uns ganz unten in Niedersachsen“, und sah lauter nette Leute um sich versammelt. Die hatten sich, bevor die Kameras liefen, noch ganz und gar nicht nett in den Haaren, weil einige zehn Mark Eintritt zahlen mußten, während andere, um die leeren Reihen zu füllen, von den Fernsehleuten umsonst eingelassen wurden. So wirkte denn die Stimmungstümelei etwas gequält, zumal die Regieassistentin zuvor auch in Megärenmanier mit den armen Osnabrückern umgesprungen war, die doch nur einmal im Leben dem Rest der Welt ihre Dickschädel und Einweggesichter vorführen oder als Randerscheinung dem Großereignis beiwohnen wollten. Viel mehr hatte die gastgebende Stadt ja auch kaum zu bieten; ein paar allerdings wirklich wunderschöne alte Autos noch, ein weltmeisterliches Tanzpaar mit chirurgisch fixiertem Standardlächeln und drei Veteranen der Schützenfestunterhaltung mit dem Namen Medium Terzett. Von den wirr plappernden Koryphäen der Kommunalpolitik schweigt des Chronisten Höflichkeit. Ach, schweigen wir überhaupt, decken wir den Mantel des Verstummens über dieses schaurige Medienereignis, möge es dem Vergessen anheimfallen, im Mahlstrom der Geschichte untergehen, ausradiert werden aus den Annalen, nie unseren Nachkommen vor Augen kommen...

Harald Keller