Knautschzonenreiche Fetischfigur

■ Die gebändigte Unmoral der Jean Harlow in „Seine Sekretärin“, 16 Uhr, SWF 3

Die heute weniger bekannte Jean Harlow war es, die im prüden Hollywood der dreißiger Jahre den Urtypus jenes „golddigger -girls“ geprägt hatte, eine vor Temperament sprühende und auf vulgäre Art liebreizende Abenteuerin, deren höchstes Lebensziel in der Heirat eines millionenschweren Upperclass -gentleman gipfelt. Im Gegensatz zur Monroe, der bekanntesten Verkörperung dieser knautschzonenreichen Fetischfigur, setzte die Harlow ihren Sex-Appeal sehr bewußt, berechnend, vielseitig und zuweilen auch sehr selbstironisch ein. Ihr schweres Make-Up und die deutlich korrigierten Augenbrauen erinnern noch an die maskenhaft pathetischen Gesichter der Stummfilmzeit. Teilweise meterlange, futuristisch gezirkelte, in rituellem Weiß gehaltene Stoffbahnen, in denen noch expressionistisches Flair mitschwingt, bedecken ihre üppigen Formen. Und wenn sie sich einmal tatsächlich auszieht, schaut die Kamera regelrecht verlegen zur Seite.

Nachdem Howard Hughes sie 1931 in Hells Angels mit ihrer wasserstoffblonden Frisur als die „Platinblonde“ zum Begriff stilisiert hatte, wurde das junge Talent eine Weile zwischen den Studios hin- und hergereicht, bis ihr ausnahmsweise als rothaariger Feuerkopf - in MGMs Red Headed Woman im Juni '32 der Durchbruch gelang. Das hatte es bis dahin nicht gegeben: Die Harlow etablierte sich schauspielerisch, und zwar als skrupellos erotische Ehezerstörerin mit schneidend scharfem Mundwerk.

Daß Wife vs.Secretary (deutscher Titel: Seine Sekretärin) aus dem Jahr 1936 nicht zu ihren stärksten Filmen zählt, ist nicht ihre Schuld. Die Glaubwürdigkeit, mit der sie die männerfressende Femme fatal auf die Leinwand gezaubert hatte, alarmierte die Zensur. Unbestrafte Unmoral, so der Tenor der einschlägigen Bestimmungen, sollte fortan nicht mehr mit einem Happyend belohnt werden. Die Drehbücher wurden auffällig umgeschrieben. Vor diesem Hintergrund ist Seine Sekretärin interessant. Obwohl die Harlow noch in gewohnter Manier ihre Verführungskünste wie einen strategischen Angriffsplan über ihrem (gegen sie recht alt aussehenden) Partner Clark Gable entfaltet, ist und bleibt sie, wie der Titel bereits festlegt: seine Sekretärin. Das sieht dann so aus, daß sie als kompetente, arbeitsbesessene Sekretärin anscheinend gar nicht bemerkt, wie sehr sie in ihren Chef verliebt ist.

Die Harlow meisterte die bläßlich konstruierte Dreiecksgeschichte mit einer bis dahin von ihr nicht gesehenen nuancierten Verhaltenheit. Als die Ehefrau (Myrna Loy) des Chefs vor ihrer lange unterdrückten Eifersucht auf die berufsbedingten Heimlichkeiten ihres Mannes mit seiner Sekretärin kapituliert und flieht, kommt es zu zwei verblüffenden Aussprachen zwischen den beiden Frauen. Die zweite, entscheidende, vollzieht sich vollkommen wortlos, in einem einzigen Blick, wobei sich das Mienenspiel der beiden kaum verändert. Seit der Einführung des Tonfilms gab es selten so ein schönes Beispiel für den stummen Dialog.

Geradezu zynisch wirkt das Ende, als die Harlow reumütig mit einem Happyend abgespeist wird, bei dem sie ihren kleinbürgerlichen Verlobten (James Stewart) als zweitbesten Ehemann akzeptieren muß. Kaum ein Jahr später starb die erst 26jährige 1937 während der Dreharbeiten zu Saratoga an einer Urinvergiftung oder etwas ähnlichem.

Manfred Riepe