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Eine Selbstverständlichkeit

■ Knipser, aber straight: Heinrich Jostmeier in Essen

Wenn man eine Landschaft aufnimmt, soll kein Strommast im Bild sein. Um die Tiefe des Bildraums zu betonen, kann man im Vordergrund einen Busch oder einen Zweig unscharf ins Bild rücken. Bei schönem Wolkenhimmel braucht man einen Gelbfilter, damit die Wolken plastisch hervortreten: Die Fotopädagogik der Fünfziger Jahre, um die sich Heinrich Jostmeier nicht geschert hat. Deshalb macht es Spaß, seine Fotografien zu sehen. Nur fünf Jahre nach seinem Tod zeigt das Museum Folkwang in Essen einen repräsentativen Ausschnitt seiner Arbeit, die für den Richtmeister aus Bochum das Gegenteil von Arbeit war: Hobby.

Wie alle Knipser fotografiert Jostmeier die Familie, bei Feiern und auf Reisen, aber er tut es mit einem überraschend klaren Auge: die feuchtfröhliche Runde platzt fast aus dem Bildrahmen; um das glitzernde Faschings- oder Festkleid der Tochter vorzuführen, verzichtet er auf ihr Gesicht; der Blick in die Landschaft zeigt auch die Autobahn, Mutter und Tochter als Gruppe links und den Opel Rekord im Anschnitt rechts. Jeder Augenblick hat seine Form. Jostmeier erkennt die Macht der stürzenden Perspektive, subjektiviert seinen Blick im Anschnitt, beobachtet die Kontraste, ohne ihnen zu verfallen (wie hat nicht die „subjektive Fotografie“ der fünfziger Jahre das Schwarzweiß fetischisiert).

Nun hat Ute Eskildsen, Leiterin der Fotografischen Sammlung, in Absprache mit dem Sohn Heinrich Jostmeiers (der ist dann Fotograf geworden) einen Kunstgriff vorgenommen: die quadratischen Negative, im Familienalbum mit 6 X 6 Zentimetern unscheinbar vergrößert, werden im 30 X 30 -Zentimeter-Format präsentiert. Details werden sichtbar, Personen gewinnen an Gegenwärtigkeit. So bekommt Jostmeiers klarer Blick etwas Unerbittliches: die Schwiegermutter, übers Bügelbrett gebeugt, scheint in den Masochismus der von Arbeit Getriebenen ergeben; das harmlose Interieur, Aquarium und Kakteen, wirkt kalt und beengend zugleich; die Verwandschaft aus Fulda, vier Herren im Anzug, entpuppt sich als schräg grinsende Mischpoke.

Die fünfziger Jahre kommen ohne Nostalgie, aber auch ohne jene Kuriosität, die ihnen oft angehängt wird, zu uns zurück. Die Lebensbedingungen, im Ruhrgebiet allemal, waren hart, und das Alltagsleben, Kartoffelschälen und Strümpfestopfen, wurde sorgsam getrennt von den großen Momenten: die lange Fahrt mit dem Motorrad, das Dienstjubiläum, ein Wiedersehen. Jostmeier, und das macht seine so sorglos akkurate Fotografie unter zeitgeschichtlichem Aspekt verläßlich, blendet keinen Anlaß aus. Die Kamera dabei zu haben, erinnert sich seine Frau Elfriede, „war für ihn eine Selbstverständlichkeit“. Dies aber nicht im Sinne der Videokameras heute. Die Kamera war für die Welt da, nicht andersherum.

Ulf Erdmann Ziegler

Heinrich Jostmeier, 1928-1985, private Fotografien. In der Fotografischen Sammlung des Museums Folkwang, Essen. Bis zum 26. August. Dienstag bis Sonntag, 11 bis 17 Uhr. Donnerstags bis 21 Uhr

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