: Die Inflation ging zurück, doch ihre Ursachen blieben
■ In Polen lohnt sich der Handel mehr als die Produktion / Kritik am Balcerowicz-Plan nimmt zu / Negativauswirkungen völlig unterschätzt
Aus Warschau Klaus Bachmann
Als sich Polens Vizepremier und Finanzminister Leszek Balcerowicz jüngst in Warschau mit Vertretern der „Handelskammer für ausländische Investoren“ traf, bekam er einiges zu hören. Die unkompetente Staatsverwaltung blockiere Investitionen in Polen, das Steuersystem zwinge zur permanenten Hinterziehung, Investoren würden wie potentielle Gauner behandelt. Gleichzeitig erschien selbst in der Regierungszeitung 'Rzeczpospolita‘ ein sarkastischer Artikel über „die naiven Kapitalisten, die glauben, in Polen Geschäfte machen zu können.“ Selbst die regierungsnahe Presse entdeckt immer mehr Unstimmigkeiten im Wirtschaftsprogramm der Regierung, dem Balcerowicz-Plan.
Dessen wesentliche Erfolge liegen, das vergißt die Regierung auch nie zu unterstreichen, in der Bekämpfung der Inflation, einem seit Jahresanfang stabilen Zlotykurs und der Beseitigung der Mangelwirtschaft. Doch schon hier setzt die Kritik des bekannten Wirtschaftswissenschaftlers Rafal Krawczyk ein: „Ein stabiler Wechselkurs ist normalerweise das Ergebnis einer starken Wirtschaft. In Polen dagegen wird er künstlich obengehalten und fördert so die Rezession. Die Polen verkaufen ihre Dollarersparnisse nicht deshalb, weil sie plötzlich an den Zloty glauben, sondern weil sie Geld brauchen, um sich etwas zu Essen zu kaufen.“
Daß der Balcerowicz-Plan sozial unausgewogen ist und vor allem die Schwachen trifft, behaupteten Gewerkschafter der kommunistischen Gewerkschaften OPZZ schon, kaum daß er veröffentlicht war. Weniger hart, aber im gleichen Sinne äußerten sich Anfang des Jahres selbst Sozialdemokraten aus dem Parlamentarischen Bürgerklub und der Gewerkschaft Solidarnosc, aber auch ausländische Wirtschaftspolitiker, die zu offiziellen Besuchen nach Polen gekommen waren.
Viele dieser Befürchtungen haben sich auch tatsächlich erfüllt. Die Realeinkommen in der staatlichen Industrie sind um rund ein Viertel zurückgegangen, der Löwenanteil der privaten Ersparnisse wurde von ihren Besitzern aufgelöst, und die Arbeitslosigkeit, inzwischen bei einer halben Million angelangt, ist schon jetzt höher als von Sozialminister Kuron für das Jahresende prognostiziert.
Hinzugefügt haben die KritikerInnen indessen noch einen weiteren Punkt: Die Regierung tue nichts gegen die Rezession, die letztlich auch zu der schnell anwachsenden Arbeitslosigkeit geführt hat. Aufgrund des Steuersystems, der Zolltarife und der staatlichen Politik gegenüber den Staatsbetrieben lohnt sich Handel in Polen immer noch mehr als jegliche Produktion. Kleine Privatfirmen, die Kleider, Haushaltsgeräte oder Lebensmittel produzieren, schließen, während Beraterfirmen, Handelsgesellschaften und Boutiquen wie Pilze aus dem Boden schießen.
Die Bilanz der Konkurse und Neugründungen bleibt so auf dem Papier ausgewogen, doch die Struktur verschiebt sich immer mehr in Richtung Handel. Zahlreiche Wirtschaftsfachleute von rechts bis links fordern daher Steuererleichterungen im Bereich der Produktion und eine Änderung der Lohnstoppbestimmungen, um so für mehr Nachfrage zu sorgen. Hauptgrund für die Rezession ist außer den höheren Kreditzinsen vor allem der Rückgang der Nachfrage.
Auch der Export, auf den viele Betriebe angesichts der mangelnden Binnennachfrage ausweichen, könnte bald darunter leiden. Die Inflation ist zwar auf einige Prozent pro Monat zurückgegangen, doch bei einem nach wie vor stabilen Zlotykurs wird so der Export immer weniger rentabel. Kredite bis Jahresende werden zur Zeit immer noch in Höhe von 34 Prozent verzinst! Als der Sejm im Februar das Staatsbudget verabschiedete, ging man davon aus, „daß das Bruttosozialprodukt um 3,1 Prozent, die Industrieproduktion um 5 Prozent und die Kaufkraft um 15 bis 20 Prozent zurückgehen würde“, rechnete der Wirtschaftswissenschaftler Pawel Bozyk bei einer Parlamentsdebatte vor. Tatsächlich erweise sich nun, daß diese Rückgänge zum Teil doppelt so hoch waren. Zwar sei, so der Ökonomie-Hochschullehrer Kaleta, die Inflation zurückgegangen, aber ihre Ursachen seien nicht beseitigt. Daher könne die Regierung auch nicht auf die im Westen zuweilen erprobten Methoden zur Rezessionsbekämpfung wie etwa Konjunkturprogramme zurückgreifen, da sonst eine Rückkehr zur Hyperinflation drohe. Denn die Monopolstrukturen in Polens Wirtschaft, meint auch Krawczyk, seien längst noch nicht beseitigt.
Kaleta, einer der bekanntesten und profiliertesten Kritiker Balcerowiczs, fordert daher, die durch die Exportüberschüsse überplanmäßig angehäuften Devisenreserven zur Stimulierung von Investitionen einzusetzen. Die Gesetzgebung über Auslandsinvestitionen fördere ausländische Spekulanten, keine serösen Großinvestoren. Stefan Kurowski, liberaler Theoretiker der Katholischen Universität Lublin, führt den Balcerowicz-Plan allein auf den Einfluß des Internationalen Währungsfonds zurück: „Was jetzt in unserer Wirtschaft stattfindet, entspricht nicht unseren Interessen, sondern denen des Westens.“
Diejenigen, die gegen Balcerowicz am lautesten Sturm laufen, sind indes die Bauern. Sie kritisieren vor allem die Tatsache, daß sie aufgrund der Nachfragebarrieren und des zunehmenden Lebensmittelexports aus dem Westen keine Käufer für ihre Produkte mehr finden. Die Preise fallen, aber die Regierung ist nicht bereit, die Agrarproduktion zu subventionieren oder Mindestpreise festzulegen. Die der Inflation angepaßten hohen Kreditzinsen führen dazu, daß die Bauern immer weniger im voraus finanzieren.
Was den Bauern ein Dorn zu wenig ist, ist Polens Importeuren schon zuviel: Die hohen Einfuhrzölle für Konsumgüter ließen keine wirkliche Konkurrenz zu den immer noch bestehenden Oligopolen der Einzelhandelsgenossenschaften zu. Denen geht es nach wie vor nicht schlecht, sie finanzieren auch weiterhin ihre aufgeblähten Verwaltungen aus der Differenz aus niedrigen Einkaufspreisen bei den Bauern und hohen Einzelhandelspreisen in den Städten - Krisengewinnler.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen