Nachträgliche Kapitulation

■ Saddam Hussein will damit den Iran auf seine Seite ziehen

Sieg oder Niederlage, diese heikle Frage entscheidet sich oftmals erst lange nach dem Waffengang. Vor zehn Jahren zerriß der irakische Despot Saddam Hussein vor den Objetiven der Fernsehkameras ein Stück Papier. Das „Dokument der Demütigung“ sei damit null und nichtig, kommentierte ein zornentbrannter Präsident sein seltsames Handeln und fügte hinzu, befreit von kolonialen Grenzziehungen ginge das glorreiche irakische Volk nun herrlichen Zeiten entgegen. Großzügig unterschlagen hatte der Präsident Saddam Hussein dabei, daß das so demonstrativ zerfetzte Abkommen von Algier, das die iranisch-irakische Grenze am Schatt al-Arab festlegt, 1975 ausgerechnet vom damaligen Vizepräsidenten Saddam Hussein unterzeichnet worden war.

Im September 1980 ließ Saddam dann der papiernen Geste militärische Taten folgen und marschierte im nachbarlichen Iran ein. Am Ende waren mehrere hunderttausend Menschen auf der Strecke geblieben, zahlreiche Städte zerbombt und Kriegsschäden in dreistelliger Milliardenhöhe aufgetürmt. Doch immerhin war es dem Bagdader Regenten durch massiven Giftgaseinsatz gelungen, beide Ufer des Grenzflusses Schatt al-Arab auch nach dem Waffenstillstand besetzt zu halten. Eine territoriale Tatsache, die dem mesopotamischen Volk in schier unermüdlicher Bildungsarbeit als „historischer Sieg“ dargestellt wurde.

Auch am Mittwoch sprach Saddam wieder in Sachen Algier -Abkommen zu seinem Volke. Diesmal freilich galt es nicht, ein Dokument zu zerreißen, von Demütigung zu reden oder gar auf die historische Erbfeindschaft zwischen ketzerischen Persern und rechtgläubigen Arabern zu verweisen. „Mein lieber Bruder Rafsandschani“, flötete ein geläuterter Präsident - und ebenso ungewohnt wie der Tonfall, in dem sich Saddam an den iranischen Staatspräsidenten wandte, war auch der Inhalt seiner Mitteilung: Der Irak erkenne ab sofort das Grenzabkommen von Algier an, ziehe seine Truppen vom besetzten Ostufer des Schatt al-Arab ab und werde überdies alle iranischen Kriegsgefangenen freilassen. Saddam hatte damit den Iran zum Sieger des Golfkrieges erklärt und den irakischen „Sieg“ kurzerhand annulliert.

Der radikale Sinneswandel des Herrschers am Tigris läßt auf eine überaus nüchterne Einschätzung des „irakischen Kessels“ schließen. Mit seiner nachträglichen Kapitulation will Saddam den Iran auf seine Seite ziehen, sich so den Rücken freihalten und via iranische Küsten den weltweiten Boykott seines Landes entschärfen. Eine Rolle mag bei dem Angebot an Teheran auch die Tatsache spielen, daß der irakische Golfzugang am Schatt al-Arab nach der Annexion Kuwaits nur noch von untergeordneter Bedeutung ist.

In Teheran nahm man die irakische Offerte zwar mit unverhohlener Freude auf, Außenminister Welajati sprach gar vom „größten Sieg in der Geschichte der Islamischen Republik Iran“. An einen Schulterschluß mit Bagdad denkt im Iran aber niemand. Ayatollah Ali Khamenei, geistiges Oberhaupt der Islamischen Republik, stellte denn auch unverzüglich klar: „Der Iran verurteilt jegliche Form der Aggression in der Golfregion, unabhängig davon, ob sie vom Irak oder von den USA ausgeht.“ Denn jede Gewalt, fügte der Ayatollah hinzu, schade nur dem Islam und den Moslems.

Walter Saller