Kriegsmüdigkeit schon vor dem Kampf

■ Reflexion statt Rambo-Politik: Amerika entdeckt im Golf-Konflikt seine neue Nachdenklichkeit / Unmut über die zögerliche Solidarität der restlichen Welt / Japaner und Europäer sollen für die Sicherung des Ölnachschubs zur Kasse gebeten werden

Aus Washington Rolf Paasch

Alle sind dafür. Achtzig Prozent der Amerikaner unterstützen Präsident Bushs Entscheidung, zur Verteidigung der saudischen Ölfelder Truppen in den aus amerikanischer Sicht „Mittleren Osten“ zu entsenden. Der Kongreß stimmt dem Präsidenten zu. Fast alle politischen Kommentatoren sind seiner Meinung. Und selbst Jesse Jackson, der sonst jedes militärische Abenteuer der USA scharf verurteilt, hat George Bush seinen Segen gegeben. Ideale Voraussetzungen also für eine unumstrittene und von der Politik unbehinderte Militärmission zur Sicherung des Ölnachschubs? Alles andere als das.

Bei näherem Hinsehen stellt sich heraus, daß die USA wohl selten so widerwillig ihre Truppen an die Front geschickt haben. Natürlich sprechen die Jungs der ausgeflogenen Luftlandedivisionen aus Fort Bragg den Reportern die gewünschten Sätze ins Mikrophon: Sie täten für ihr Vaterland gerne ihre Pflicht - wenn's sein muß, auch bei fünfzig Grad Celsius in der Wüste Saudi-Arabiens.

Aber im Gegensatz zu Reagans Blitzintervention 1983 in Grenada oder Bushs militärischer Premiere in Panama im vergangenen Dezember will bei der Expedition an den Golf keine rechte Begeisterung aufkommen. Selbst die wenig gebildeten und zur Hälfte hispanischen und schwarzen „Krieger-Kids“ aus der 82. Airborne Division, die Amerika in solchen Notfällen gerne als erste verheizt, verstehen, daß sie aus dem Persischen Golf nicht so schnell zurückkommen werden.

Auch die Daheimgebliebenen haben mit der größten Truppenoperation seit Vietnam Probleme. Der kollektive Alptraum der Vietnam-Erfahrung scheint wie ein Schleier über dem jüngsten Golf-Abenteuer zu hängen. Auch die spärlichen Antworten der Vietnam-erprobten Generation von Brigade- und Divisionskommandanten zeugen bereits von einem gewissen Überdruß, noch ehe die Kampfhandlungen überhaupt begonnen haben. Während Dauer und Komplexität den Golf-Konflikt von den Blitzaktionen gegen Grenada, Libyen und Panama unterscheiden, liegt die Differenz zum Vietnam-Krieg in jener eigenartigen Abwesenheit von Idealen, für die im „Mittleren Osten“ gefochten werden soll. Der amerikanische Chauvinismus funktionierte immer dann wunderbar, wenn er sich aus historischen, moralischen und demokratischen Prinzipien nährte, die man vor Ort zu verteidigen vorgab.

Ob in der Schweinebucht, in Nicaragua oder in Fernost überall galt es, der Bedrohung durch die kommunistischen Horden entgegenzutreten. In der weniger glorreichen Zeit nach dem Kalten Krieg scheint man dagegen nun in irgendeinem fremden Wüstenland den Benzinpreis an den heimischen Zapfsäulen verteidigen zu müssen - nicht gerade ein ideologieträchtiges und ruhmreiches Unterfangen. „Als Präsident Bush in die Kiste der Rhetorik griff“, so beschrieb die 'Washington Post‘ des Präsidenten matte Rechtfertigungsrede vor der Nation, „da war sie leer.“

Natürlich gibt es auch zu Zeiten George Bushs noch einige Rambotiker, die gleich das Bombardement Bagdads forderten. Doch bestimmt wird die Debatte im Volk und unter Kolumnisten von denen, die jetzt schon vor den innen- wie außenpolitischen Langzeitfolgen der US-Intervention warnen. Es sei nur eine Frage der Zeit, so die Kommentatorin Meg Greenfield, bis die Frustration über die Entsendung junger Amerikaner in ein „Netz der Gefahren“ einsetzen werde. Dann würden, so fährt sie fort, die beträchtlichen Kosten zum Thema werden. Schließlich werde Amerika wieder einmal begreifen müssen, daß die als weltweit angesehene Empörung in anderen Ländern schneller abnehme, als von den USA angenommen.

Die aus amerikanischer Sicht recht zögerliche Solidarität der restlichen Welt und besonders Europas ist heute bereits Thema für konservative Kolumnisten. Vor allem die Äußerung des Sozialdemokraten Karsten Voigt, der Persische Golf sei nicht das Aufgabengebiet der Nato, scheint hierzulande vielen übel aufgestoßen zu sein. In diesem Spruch liege eine „gewisse Arroganz, als wären Kriege wie dieser unter der Würde der Europäer“, kommentiert das 'Wall Street Journal‘ und droht Europa gleich mit dem Rückzug der dort stationierten US-Truppen, falls die Nato nicht langsam ihre internationale Verantwortung ernst nehme.

In einigen Kommentarspalten werden Europäer und Japaner für die von den US-Truppen geleistete Sicherung des Ölnachschubs offen zur Kasse gebeten. Die in der Nato unterschwellig vorhandenen Ressentiments der USA über die selbstverständliche Inanspruchnahme US-militärischer Dienstleistungen, ohne dafür den Marktpreis zu entrichten, werden sich mit der Dauer des Golf-Konfliktes noch verstärken. Die Regierung wird es sich angesichts der gespannten Wirtschafts- und Haushaltslage auf Dauer politisch gar nicht leisten können, für die Stationierung der Golf-Truppen jeden Monat bis zu einer halben Milliarde Dollar zu zahlen. Die Regierung ist sich offenbar des Zustandekommens einer mehr als symbolischen konzertierten Truppenaktion so unsicher, daß sie schon seit Tagen jedes Segelboot in der Ostägäis mit Kurs auf den Suezkanal als Beweis für die internationale Kooperation feiert.

Seine Chancen, diesem Golf-Abenteuer ohne politischen Schaden zu entkommen, sind gering - das weiß auch George Bush. Kurzfristig mag ja der Golf-Konflikt sogar von den Folgen der heimischen Sparkassenpleite und den Haushaltsproblen ablenken, längerfristig jedoch wird es für den Präsidenten um politische Schadensbegrenzung gehen. Die Chancen, daß der Feldzug gegen Saddam Hussein zu George Bushs Falkland wird, werden mit jedem ereignislosen Tag unter der saudischen Sonne geringer.

Bush hat möglicherweise die Chancen für eine Kompromißlösung im Persischen Golf - und damit einer innenpolitisch wünschenswerten Verkürzung des amerikanischen Truppenengagements - bereits verspielt. Denn so notwendig die rasche Truppenentsendung zum Schutz gegen weitere irakischen Ölannexionen aus der Sicht der US-Bürger gewesen sein mag, Bushs Beharren auf der Wiederherstellung des Status quo ante in Kuwait verbaut ihm sämtliche Rückzugswege aus der Region. Sobald den Amerikanern die Ölzufuhr wieder als gesichert erscheint, dürfte ihnen völlig gleichgültig sein, welche Art autokratisches Regime nach dem Abzug der irakischen Besatzungstruppen in Kuwait installiert wird. Die Wiedereinsetzung der geflohenen Herrscherfamilie würde für Saddam Hussein dagegen einen völlig unakzeptablen Gesichtsverlust bedeuten.

Wenn aber in einigen Monaten in den USA der Eindruck entsteht, daß die GIs nur wegen Bushs Sturheit in der Wüste schmachten, wenn die Europäer auch weiterhin nur als parasitäre Kampfgenossen „am Golf herumtrippeln“ ('Wall Street Journal‘), wenn in den USA noch mehr Sozialprogramme gekürzt werden müssen, weil George seine spätfeudalen Freunde wieder auf dem kuwaitischen Thron sehen will, dann könnte ihm das in diesen Tagen eher nachdenkliche als chauvinistische Amerika bei den nächsten Präsidentenwahlen seine Mißbilligung aussprechen.