„Verpiß dich, du weißer Scheißer“

■ Die Jugend Südafrikas bekriegt sich nun auch in Soweto / ANC-Anhänger wollen sich an Zulu-Gruppen rächen, die nach Zeugenaussagen einen Vorortzug überfallen haben

Aus Soweto Hans Brandt

Plötzlich waren wir im Niemandsland. Auf der einen Seite gestern in der Nähe des Bahnhofs Merafe in Soweto - Hunderte von Jugendlichen, ausgerüstet mit Stöcken, Steinen, Deckeln von Mülltonnen, Molotowcocktails. Auf der anderen Seite ein Dutzend weiße Polizisten, die meisten in Zivil, Gewehre und Pistolen im Anschlag. Beide Seiten versuchten krampfhaft, das Auto voll Journalisten zu verscheuchen. Sie wollten weiterkämpfen. Doch dann besannen sich die Staatsorgane - im Beisein der Presse wollten sie wohl doch nicht das Feuer eröffnen. Sie zogen sich zum Bahnhof zurück.

Doch wenig später gingen die Jugendlichen zum Angriff über. Ihr Ziel - das Merafe-Wohnheim für Wanderarbeiter auf der anderen Seite der Bahnlinie. Dorthin hatten sich die Kämpfer der Zulu-Organisation Inkatha, identifizierbar durch rote Stirnbänder, zurückgezogen. Zwischen beiden stand die Polizei. Sie schoß dann doch. Als ich kurz danach auf die Polizisten zuging, herrschte einer mich an: „Die Typen werfen Molotowcocktails auf uns, und was machst du? Nichts. Obwohl du Scheißer eine weiße Haut hast. Verpiß dich bloß.“ Und dann zeigte er auf mich und zog drohend den Finger entlang der Kehle. Ein Vorgesetzter entschuldigte sich später. Doch auch andere Polizisten machten deutlich, daß Journalisten und ANC-Anhänger für sie zusammengehören. „In der Presse sind wir doch immer an allem schuld“, beschwerte sich ein schwer bewaffneter Polizist.

Die Kämpfe in Soweto brachen gestern in den frühen Morgenstunden in der Nähe des Inhlazane-Bahnhofs und des anliegenden Wohnheims für Wanderarbeiter aus. Anwohnern zufolge griff eine etwa 400 Mann starke Gruppe von Inkatha -Anhängern gegen vier Uhr einen Zug an. Passagiere wurden aus den Waggons gerissen. Mindestens drei Menschen kamen ums Leben. Jugendliche aus den anliegenden Gebieten gingen wenig später zum Gegenangriff über. Die kämpfenden Gruppen wurden unter Einsatz von Tränengas von der Polizei auseinandergetrieben.

Nach Sonnenaufgang standen sich die Kontrahenten etwa hundert Meter voneinander entfernt gegenüber, dazwischen die Bahnlinie und Dutzende von Polizisten. „Die Inkatha-Leute bringen unsere Eltern auf dem Weg zur Arbeit um, und jetzt dürfen wir uns nicht rächen“, beschwerten sich die Jugendlichen. Bewaffnet mit Äxten, Stöcken, Küchenmessern, selbstgeschmiedeten Macheten und Steinen tanzten die ANC -Jugendlichen. „Wir wollen kämpfen“, sagte einer. „Die Polizei braucht uns nur sieben Minuten geben, und wir räumen da drüben auf.“

„Drüben“ seien, meinte wenig später Themba Khoza, Leiter der Inkatha-Jugendgruppe in Soweto, „seine Leute“ ohne Provokation von der „ANC-Jugend“ angegriffen worden. „Wir wollen nicht kämpfen. Wir haben uns in die Wohnheime zurückgezogen. Aber der ANC will gegen alle anderen kämpfen, um dafür zu sorgen, daß er als einziger Ochse im Kraal übrigbleibt.“ Khoza hatte große Schwierigkeiten, die Inkatha -Leute unter Kontrolle zu halten. Mit Kriegstänzen und Schlachtrufen putschten sie sich auf. Stundenlang versuchten Unterhändler der Polizei von Inkatha und den ANC -Sympathisanten, die Kampfgruppen bei Inhlanzane dazu zu überreden, nach Hause zu gehen. Doch gegen Mittag setzte die Polizei dann Tränengas ein. Darauf folgten erbitterte Straßenkämpfe in der ganzen Gegend. Auch aus anderen Teilen Sowetos wurde von Konflikten berichtet.

Wie schon in anderen Townships konzentrierten die Kämpfe in Soweto sich gestern auf die Gegenden um die Wohnheime für Wanderarbeiter. In den Heimen wohnen alleinstehende Männer, die ihre Familien in ländlichen Gebieten zurückgelassen haben, um in der Industrieregion um Johannesburg Arbeit zu finden. Viele von ihnen sind Zulus. Spannungen zwischen Heimbewohnern und benachbarten Township-Leuten gibt es schon seit Jahren. Zum Teil handelt es sich dabei um einen Generationskonflikt - die Wanderarbeiter sind älter. Die verfeindeten Gruppen aus den Townships bestehen meist aus Jugendlichen. Doch auch ältere Township-Bewohner klagen über die Schlägertruppen der Zulus. Gestern flüchteten Hunderttausende vor Angst aus ihren Häusern.

Die Zulus sehen ihren Kampf als ethnischen an. „Der ANC wird von Xhosas geführt und will gegen alle Zulus kämpfen“, sagte ein Zulu. In Vosloorus, Thokoza und Kathlehong, Townships östlich von Johannesburg, haben die Kämpfe seit Sonntag mindestens 140 Menschenleben gefordert.

Der ANC hat der Polizei vorgeworfen, auf seiten von Inkatha an den Kämpfen beteiligt gewesen zu sein. Als Beweis legen ANC-Sprecher zahlreiche schriftliche Aussagen von Augenzeugen vor. Die Polizei weist alle Vorwürfe zurück. In Soweto war gestern zwar deutlich, daß die Sympathien der Polizei Inkatha gehörten. Dennoch konnte ich keine direkte Unterstützung der Polizei für die Zulu-Gruppen beobachten.