Eine Lehrstunde in irischer Geschichte

■ Beim Auftakt im Düsseldorfer IRA-Prozeß kämpfen die Angeklagten um ihre Identität als Freiheitskämpfer

Düsseldorf (taz) - Kaum hatte der Senatsvorsitzende Wolfgang Steffen am Donnerstag den Prozeß gegen die beiden Iren Gerard McGeough und Gerard Hanratty eröffnet, rückte der politische Hintergrund des Verfahrens auch schon ins Zentrum des Geschehens. Auf die Frage an McGeough „Sie sind britischer Staatsbürger?“ antwortete der mit Krawatte und Hemd bürgerlich gekleidete Angeklagte in schneidendem Tonfall: „Ich bin niemals britischer Staatsbürger gewesen und werde es auch niemals sein. Ich bin 100 Prozent irisch und ich bin stolz darauf“. Geboren sei er im „britisch besetzten Irland“. Ob er denn jemanden, der in Leipzig zur Zeit der sowjetischen Besatzung geboren worden sei, auch als Sowjetbürger bezeichnen würde, fragte McGeough in Richtung des Senatsvorsitzenden zurück. Eine schlimmere Beleidigung als einen Iren als Briten zu titulieren, gebe es nicht.

Nach dieser Eröffnung wurde den etwa 150 JournalistInnen und den übrigen BesucherInnen, die die Polizei erst nach einer peniblen Durchsuchung in den Gerichtsbunker vorließ, schnell klar, daß die Angeklagten sich durch weitere Formulierungen in der Anklage zutiefst beleidigt fühlen. Wie auch immer man den Befreiungskampf der Iren bewerte, ihn wie in der Anklage geschehen - als „terroristisch“ zu stigmatisieren und den IRA-Mitgliedern „niederste Motive“ zu unterstellen, sei, so Gerard Hanratty, nicht nur beleidigend sondern auch im höchsten Maß „unehrlich“. Hanratty gab dann eine Lehrstunde in Sachen irischer Geschichte.

Er erinnerte an die jahrzehntelange „Kolonisierung“ von sechs der 32 irischen Grafschaften und daran, daß das irische Volk den 1922 unter massivstem Druck zustandegekommenden Teilungsvertrag nie akzeptiert habe. Erst nachdem die friedlichen Methoden der irischen Bürgerrechtsbewegung zur Befreiung von der britischen Besatzungmacht mit militärischer Gewalt durch die Briten niedergemacht worden seien, sei die IRA in den Vordergrund gerückt. Der Bundesanwaltschaft empfahl Hanratty darüber hinaus, sich „zunächst einmal die amnesty-Berichte und die Urteile des europäischen Gerichtshofes über die Verletzung der Menschenrechte in Irland durch die Briten durchzulesen, bevor sie jemanden als Terroristen bezeichnen“. Zu der ihnen von der Bundesanwaltschaft vorgeworfenen Beteiligung an zwei Bombenanschlägen äußerten sich die Angeklagten am ersten Prozeßtag nicht. Hanrattys Verteidiger, Rüdiger Deckers, hatte zuvor vom Gericht verlangt, der Bundesanwaltschaft die Verlesung jener Passagen aus der Anklageschrift zu untersagen, in denen die IRA als „terroristische Vereinigung“ bezeichnet wird. Dieser Antrag wurde abgelehnt und die gesamte Anklage verlesen. Deckers wies in einem brillianten Vortrag darauf hin, daß es der Bundesanwaltschaft offenbar darum gehe, die IRA zu stigmatisieren, die Angeklagten zu disqualifizieren und den politischen Kern des Nordirlandkonflikts hinter der Begrifflichkeit „Terrorismus“ im Verborgenen zu halten. Deckers wörtlich: „Der Begriff 'terroristische Vereinigung‘ ist ein Rechtsbegriff, der in Paragraph 129a StGB definiert und qualifiziert ist.“ Da aber Paragraph 129a nicht Gegenstand des Verfahrens sei, habe das Gericht also auch nicht zu befinden, ob die IRA eine „terroristische Vereinigung“ in diesem Sinne sei. Der Terrorismusbegriff diene in der Anklageschrift lediglich politischen Zielen.

J.S.