Die SPD mag sich nicht mehr selbst verleugnen

■ Parteichef Wolfgang Thierse kündigt das Ende der Regierungskoalition an / De Maizieres Personalentscheidung war kalkuliert

Nach wochenlangem Schlagabtausch steht die Regierungskoalition in der DDR jetzt vor dem endgültigen Bruch. Mit der am Mittwochabend von Ministerpräsident Lothar de Maiziere verkündeten Entlassung von vier Ministern, darunter SPD-Finanzminister Walter Romberg, bleibt den Sozialdemokraten kaum eine andere Wahl, als der Ausstieg aus dem ohnehin zerrütteten Regierungsbündnis. Denn die Entlassung des streitbaren Finanzministers ist nur der Höhepunkt einer langen Reihe koalitionsinterner Auseinandersetzungen. Von Anfang an fühlten sich die Sozialdemokraten bei den Verhandlungen zum ersten Staatsvertrag von DDR-Chefunterhändler Krause übergangen; der Wahltermin 2.Dezember wurde von der CDU-Fraktion ohne Absprache mit dem Koalitionspartner ins Spiel gebracht und durchgesetzt. Nachdem die Koalitionskrise um ein gesamtdeutsches Wahlrecht beigelegt worden war, forderte die SPD, sie müsse nun endlich gleichberechtigt in die weiteren Verhandlungen einbezogen werden. Doch schon stand der nächste Konflikt ins Haus: Staatssekretär Krause (CDU) gab einen DDR-Entwurf zum Einigungsvertrag in die Verhandlungen, von dem die SPD-Minister nur noch Kenntnis nehmen konnten; auch von de Maizieres gescheiterter Initiative für gesamtdeutsche Wahlen am 14.Oktober erfuhren die Sozialdemokraten erst unmittelbar vor der Pressekonferenz.

Dennoch markiert der Rauswurf von Finanzminister Romberg eine neue Qualität im Umgang de Maizieres mit seinem Koalitionspartner. Fast scheint es, als sei diesmal der Bruch einkalkuliert. Angedeutet hatte sich das bereits am 8. August in der Volkskammer, als Krause die beiden SPD -Minister Romberg und Hildebrandt frontal angegriffen und für die Misere der DDR mitverantwortlich gemacht hatte. Schon damals wertete Parteichef Thierse das als neue Strategie der CDU, die SPD aus der Koalition zu drängen.

Einen Tag vor Entlassung stellte de Maiziere seinem Finanzminister dann ein Ultimatum: Romberg müsse die Richtlinienkompetenz des Ministerpräsidenten anerkennen und seine Kritik an den finanzpolitischen Passagen des Einigungsvertrages einstellen, oder er habe mit Konsequenzen zu rechnen. Daß Romberg sich diesen Maulkorb nicht umschnallen lassen würde, war absehbar.

Ohnehin konnte der Finanzminister in den letzten Wochen nur noch zähneknirschend den Verbleib der SPD in der Regierung mittragen. In der Fraktion hatte er bereits nach dem Wahlrechtskonflikt für den Ausstieg gestimmt. Nachdem sich im Zuge der Währungsunion die wirtschaftliche Situation der DDR radikal verschlechterte, entwickelte sich Romberg zum hartnäckigen Kritiker der Berlin-Bonner Einigungsstrategen. Er bezifferte die spektakulären Fehlbeträge im DDR-Haushalt auf mindestens zwölf Milliarden Mark und widersprach zudem Krauses Erfolgsmeldungen bei den Einheitsverhandlungen. Tenor seiner Kritik: Mit den bisherigen Festschreibungen im Einheitsvertrag werden die DDR-Länder zum „Armenhaus im künftigen Deutschland“ degradiert. Die absehbare Verschuldung der Länder, so Romberg, wird Ende 1990 rund 90 Milliarden DM betragen. Deshalb sei eine „Zustimmung zum Einigungsvertrag nicht zu verantworten“. Auch die Verfügungsgewalt über das Treuhandvermögen beim Bund wollte er nicht mittragen. Die Formulierung im Einigungsvertrag, alle Erlöse sollten den DDR-Ländern zugute kommen, hält der Finanzminister für nicht ausreichend.

De Maiziere muß provoziert haben, daß sich Romberg mit seiner Kritik immer deutlicher als Interessenwahrer der DDR -Bevölkerung profilierte, eine Rolle, die der Ministerpräsident bislang für sich beansprucht hatte. Die verklausulierten Bezichtigungen an Romberg, ihm fehle die nötige Kompetenz, klingen jedenfalls kaum glaubwürdig.

Parteichef Thierse fiel es gestern morgen recht leicht, de Maizieres Entscheidungen als Scheinlösung hinzustellen. Der Ministerpräsident wolle die Misere jetzt personalisieren, obwohl es doch offensichtlich sei, daß mit dem Ministerrauswurf keines der anstehenden Probleme gelöst werde. Auch die Tatsache, daß de Maiziere keine neuen Minister für das Amt benennen will, spricht dafür, daß Rombergs Rausschmiß in erster Linie der Beseitigung eines regierungsinternen Kritikers dient. Die Entlassung von Landwirtschaftsminister Pollack hingegen ist buchstäblich ein Bauernopfer. Die Demission von CDU-Wirtschaftsminister Pohl soll nach außen die Personalentscheidung als ausgewogen und sachorientiert erscheinen lassen. Und die Entlassung des Justizministers Wünsche, der dieses Ressort schon unter Walter Ulbricht innehatte, war ohnehin lange überfällig.

Parteichef Thierse wird auf der nächsten Sitzung der Fraktion die Empfehlung geben, „das Ende der Koalition ausdrücklich festzustellen“. Doch der Verantwortung für die Währungsunion und ihre Folgen wird sich die SPD auch dann nur schwer entziehen können, wenn sie die jüngste Entwicklung - so Thierse - als „Scheitern der Politik Kohls und de Maizieres“ wertet. Denn der späte Regierungsaustritt der SPD ist auch das Eingeständnis, daß das sozialdemokratische Konzept nicht aufgegangen ist. Mit der Grundrente, die jetzt als SPD-Verhandlungserfog beim ersten Staatsvertrag hochgehalten wird, kann die SPD kaum verschleiern, daß sich ihr Mitgestaltungsanspruch, mit dem sie die Regierungsbeteiligung immer wieder rechtfertigte, als Selbsttäuschung erwiesen hat. Das wird auch durch Thierses Geständnis, man habe nur „unter extremster Selbstverleugnung“ in der Regierung ausgeharrt, nicht besser. Faktisch verläßt die SPD das Kabinett zu dem Zeitpunkt, an dem alle Modalitäten der Einheit festgeklopft sind. Ob sie mit der Drohung, den Einheitsvertrag scheitern zu lassen, jetzt noch etwas im Sinne der Rombergschen Kritik ausrichten kann, ist mehr als zweifelhaft.

Matthias Geis