Ritter Rolands Nachfahren

■ Auf Bremens historischem Kindermarkt toben Reiter, Burgfräuleins und Gespenster

Wie kummt es nun in dieser Zeit, daß sich gestern anitzo auf dem Bremer Marktplatz eine Schar fürchterlicher junger Ritter zusammenfand. Lieber Gott, bey diesem Anblick wäre so manches wackere Sarazenenherz in den Kaftan gerutscht.

Denn auf der Tunierbahn im Schatten unseres allerhöchsten Gotteshauses stritten der Schwarze und der Blaue Ritter auf

ihren prächtigen Papprossen, zeigten ihre schrliche Kriegskunst und warben um die Gunst ihrer Burgfräuleins, welchselbe alle so anmutig und schön waren, daß ein armseliges Hunnenauge bei ihrem Anblick wohl erblindet wäre.

Die Ritter, im besten Mannesalter zwischen sechs und zwölf, hieben für ihre Herzafterh mit dem Schwerte aufeinander eyn, bohrten ihre Lanzen in pralle Schweineblasen, die unter lautem Knall zerplatzten wie Luftballons und vollführten dabei noch aller

ley tolle Reiterkunststücke. Ich schwöre Euch, beim Anblick der gleißenden Kettenhemden, die entfernt an grobes Sacklinnen gemahnten, hätte ich kein Maure sein wollen.

Auf dem Turniergelände hatte sich derweyl allerley Volk versammelt und war ein munteres Treyben im Gange. Die einen feilschten um ein Fläschchen Wunderwasser aus den Händen des Doktor Oliver (10), andere begehrten unter Gezeter die Kräutersäckchen zur Milderung ihrer Zipperlein. Symer, der sie

benjährige Barbier, rückte mit scharfem Stahl jedem unrasierten Barbarengesicht zu Leibe. So wahr mir Gott helfe, er führte eine gute Klinge, die es mit jedem Muselmannenschnäuzer würde aufnehmen können.

Für allerley Schrecken und Schauder sorgt ein Spukschloß direkt neben der ehrwürdigen Tunierbahn. Fremder, treibt Dich der Anblick der Hexen und Gespenster nicht in die Flucht, so Gedenke wenigstens Deiner jungen Brut, bevor Du die Höhle betritts! Wohl wahr, in dieses Schloß würde ich alle Babylonier dieser Welt schicken!

Doch nicht nur Angst und Schrecken, auch Glückspiel und Sternendeuterey kreuzen auf diesem Markt Deinen Weg, wenn Du bereyt bist, den zehnten Teyl eines Talers am astrologischen Rad oder beym Kauf einer Wunderflasche zu lassen. Trifft die Sonne auf Deinen Stern, Glücklicher, so lasse Dir Sodalite, Opale und Rauchquarze aushändigen.

Schließlich solltest Du auch die neusten Geschichten Dir anhören, die der Moritatensänger gar trefflich vorzutragen weiß. Wohlan, Du Geizhals, diese Geschichten kosten Dich keinen Heller, wennauch der Sänger um eine Münze im Hut nicht allzu betrübt seyn würde.

In Summa ist es ein tolles Treyben, daß der historische Kindermarkt auch am heutigen Tage bereyt hält für Groß und Kleyn, und der einzige, der gestern keyne Miene verzog, war unser Ritter Roland beim Anblick seyner Nachfahren. Markus Daschne

Der historische Markt für Kinder ist nur noch heute von 13 bis 18 Uhr geöffnet.