Alchemie einer Party oder: Eisenbahnschienen des Geistes

■ Gespräch mit Peter Lilienthal - zum Ende der vierwöchigen „Europäischen Sommerakademie“

taz: Noch sind die vier Wochen Sommerakademie nicht ganz vorbei - trotzdem schon die Bitte um einen Rückblick.

Peter Lilienthal: Als einige Freunde, Mitglieder der Akademie, das Ganze hier ins Rollen brachten, hatten wir eigentlich nicht viel anderes im Kopf als Leute, die eine große Party organisieren. Wie sympathisch man so etwas gestalten kann, wußten wir selbst nicht, weil wir Amateure sind. Ich wußte aber, daß es keine Verlängerung von einem Filmfestival werden darf oder von dem, was man in einer Filmhochschule macht: In beiden Fällen steht man unter einem gewissen Leistungsdruck; das sollte es nicht sein. Wie ich es in diesem etwas gewagten Vorwort schon gesagt habe: Wir wollten eine „Drehpause“. Ohne Bedingungen, ohne Rechte einzuklagen. Das erfordert eine große Neugierde gegenüber dem anderen, auch Geduld. Dazu sind wir nicht gerade prädestiniert; die Leute haben es eilig, Lösungen zu finden.

Waren die Leute neugierig genug?

Meine Freunde sagen, daß ich ein Optimist bin. Insofern bleibt mir vieles verborgen, was mit Unzufriedenheit oder ungelösten Dingen zu tun hat, weil ich nur das sehe, was ich sehen will. Wenn Sie sich zum Beispielzum Beispiel an Flussers Gedanken erinnern - an die Vorstellung, den „Autor“ und das „Subjekt“ abzuschaffen - dann habe ich in Gesprächen mit Flusser immer gespürt, wie große Sehnsucht ich nach einem solchen Subjekt habe, das historisch denken kann. Ein Subjekt, das Wärme ausstrahlt, das Neugierde auf das reale Gegenüber hat. Ich spreche da nicht vom Film oder von Medien, sondern von einer moralischen Haltung. Flusser ist für mich ein kybernetischer Punk, vielleicht verstehe ich nur Fragmente von seiner Welt. Aber was ich verstehe, ist ein Eros: Seine Begeisterung bei der Vermittlung seiner Ideen, seiner Philosophie. Daraus entwickelt sich ein Vertrauen, und genau das ist oder war die Voraussetzung für die ganze Sommerakademie. Wenn man etwas Ungeheuerliches, Nie-Gedachtes von jemandem vermittelt bekommt, muß man der Person vertrauen, damit daraus ein - gedankliches - Spiel werden kann.

Ich habe selbst zum Beispiel an einem Workshop teilgenommen, wo von diesem Vertrauen nichts zu spüren war und die Teilnehmer sich sehr destruktiv verhalten haben. Dagegen war es bei einer anderen Veranstaltung möglich, daß ein junger Regisseur sehr offen und sympathisch über seine Fehler und seine Schwierigkeiten mit Schauspielern und so weiter geredet hat. So etwas wäre auf einem Festival sicher nicht passiert. Diese Eindrücke sind sehr zufällig, subjektiv. Genauso subjektiv gefragt: Haben sich Ihre Wünsche und Erwartungen für die Sommerakademie erfüllt?

Es gibt Leute, die mir nachsagen, ich hätte die Eigenart zu verführen. In meiner Anwesenheit ist es eigentlich nicht passiert, daß jemand seine Fehler nicht eingesehen hätte, im Gegenteil. Es hatte in den meisten Situationen etwas sehr Brüderliches.

Gespräche von Regisseur zu Regisseur...

Es kommt immer darauf an, wie man angesprochen wird. Erst mal wollen alle im besten Licht erscheinen, ich auch. Dann, um Fehler zu besprechen, muß dieses schon erwähnte Vertrauen da sein. Wir stehen hier ja keinem Gericht gegenüber, auch keinen Kritikern. Fehler will man auf jeden Fall besprechen, aber man will eine bestimmte Qualität des Gesprächs. Und ich bin der erste, der sagt, daß mir das nicht immer gelingt, weil ich in Erregung gerate. Ich habe überhaupt kein pädagogisches Talent.

Aber genau diese Erregung haben Sie im Zusammenhang mit dem Foyergespräch am Donnerstag als etwas sehr Produktives geschildert?

Ja, für andere ist es produktiv, aber für mich nicht. Daß ich erregt bin, ist gut, aber wie ich dann reagiere, ist nicht gut. Ich finde dann oft nicht die richtige Form, damit der andere mir weiterhin vertraut.

Reden Sie jetzt über sich als Diskussionsleiter?

Ich rede nie über mich als Diskussionsleiter, weil ich keiner bin. Wie meine Kollegen von der Akademie habe ich höchstens mal - um das Schweigen in einer Gruppe zu überbrücken - aus meinen eigenen Beobachtungen eine Art Einleitung gemacht. In solchen Momenten bin ich aber oft besitzergreifend und bremse dadurch manche Leute. Das gleiche Verhalten habe ich auch bei anderen beobachtet.

Gerd Mattenklott stellte Donnerstag nachmittag große „Übersetzungsprobleme“ im Gespräch zwischen Fernsehleuten, Produzenten, Filmemachern und Theoretikern fest. Ist dieses spartenübergreifende Gespräch, also das, was sich die Sommerakademie schon mit ihrem Titel vorgenommen hat, überhaupt zustande gekommen?

Ja. Über die Qualität des Gesprächs läßt sich jedoch immer diskutieren. Ob es etwas fortsetzt, was für mich (Sommer)akademisches Denken ist, weiß ich nicht. Es ist wie bei einem Film: Wir sehen etwas, sind irritiert, und erst mit einem großen Abstand korrigiert sich das Bild. Aber an irgendeiner Stelle kommen wir vielleicht darauf zurück. Mehr ist nicht beabsichtigt, mehr kann nicht beabsichtigt sein. Wir haben in der Sommerakademie versucht, eine „societe“ nicht zu simulieren, sondern herzustellen. Das ist eine Grundlage für das Herumstochern im Nebel, für das, was wir als „Gründerzeit“ bezeichnen können. Wir legen Eisenbahnschienen des Geistes und wissen gar nicht, wo sie hinführen. An dem Punkt kam ich, heute und in den vergangenen Tagen, wieder auf so altmodische Begriffe wie das moralische Bewußtsein zurück. Denn das Befragen philosophischer Kategorien kann auch zum Entdecken einer Gerechtigkeit führen. Wenn man nicht an irgendeiner Stelle die Transzendenz im Auge hat, fällt alles in eine Beliebigkeit, in ein dunkles Loch.

Haben Sie in den Workshops oder Diskussionen zeitspezifische Schwierigkeiten in der Kommunikation bemerkt, Stichwort „degenerierte Gesprächskultur“?

Das versuche ich sehr genau zu beobachten. Es ist ganz klar, daß ein junger Filmemacher aus München eine andere Ausdrucksweise. Dringlichkeit und Angst hat ein Kollege aus Babelsberg. Man kann nun nicht von jedem, der hier herkommt, verlangen, daß er wirklich mit Gespür auf diese Differenzen eingeht. Das ist ein Charaktersache. Und in vier Wochen wir sind hier kein theologisches Seminar - kann man so etwas nicht als Modell entwickeln. Das Annehmen eines anderen, die Art des Ansprechens, das ist eine Glückssache. Eine Frage der richtigen Alchemie.

Was das Ost-West-Thema in der Sommerakademie sehr präsent? Gab es vielleicht sogar Überlegungen von Künstlern aus Ost und West, was man dem derzeit verbreiteten Wunsch nach Zerstörung der DDR-Kultur entgegensetzen kann?

Mit meiner utopischen Veranlagung habe ich mich gefragt, wie zwei Akademien zueinander finden können. Sie könnten zum Beispiel eine Art Tochtergesellschaft gründen, wie es in der Industrie üblich ist, wenn ein Großunternehmen an eine Grenze stößt oder irgendetwas nicht richtig läuft. Auch die Sommerakademie ist eine dritte Instanz, eine Tochtergesellschaft beider Akademien oder überhaupt der Medienkultur in Deutschland, wo sich eine Winzigkeit von neuem Kurs anbahnt. Das bedeutet zum Beispiel ein anderes soziales Verhalten. Verlangsamung der Zeit etc. Aber ich bin nicht so anmaßend zu glauben, daß das ein erster Schritt in eine Zukunft ist.

Ist die Finanzierung der nächsten Sommerakademie in irgendeiner Weise an den Erfolg/Mißerfolg der diesjährigen gekoppelt?

Die „Sommerakademie“ wurde fast ausschließlich mit dem Gesamtetat der Abteilung „Film und Medienkunst“ finanziert. Früher haben wir über das ganze Jahr verteilt Veranstaltungen gemacht. Jetzt fließt alles in die „Sommerakademie“. An Bedingungen war hierbei nichts geknüpft, und zwar aus dem einen Grund: Die Akademie der Künste ist zusammen mit der Bundesbank die einzige Institution in der BRD, die absolut autonom ist. Was bei der Planung der nächsten Sommerakademie eventuell eine Rolle spielt, ist eine Frage der Freude oder Enttäuschung von Mitgliedern der Abteilung, einfach unser Vergnügen, es so oder so weiterzumachen. Aber es gibt keine Zensur, Vorzensur oder Mitsprache von anderen Stellen; und nur aus diesem Grund mache ich es.

Im Unterschied zu diesem Jahr soll es im nächsten Jahr einen thematischen Schwerpunkt geben.

Wir wollen uns mit allem beschäftigen, was Filmbauten im phantastischen Film betrifft. Sowohl von den Stoffen, also der Science Fiction, als auch von allen Paralleldisziplinen, die im phantastischen Film eine Rolle spielen, von Malerei bis hin zu Special Effects. Wir wollen im Rahmenprogramm zum Beispiel die Filme von Ridley Scott oder Stanley Kubrik zeigen - aus der Überlegung heraus, daß hier eine Tradition, die es im expressionistischen Film gab, irgendwann abgebrochen wurde und jetzt eine Domäne der Amerikaner ist. Denn wollen wir die sozialphilosophischen, politischen Aspekte zum Beispiel des faschistischen Horrorfilms untersuchen, der ja das ganze Gegenteil einer sozialen Utopie ist. Das alles hoffentlich zusammen mit einer großen Ausstellung von Bauten für den phantastischen Film... Diese Sommerakademie war ja ein Pilotprojekt, im nächsten Jahr gibt es keine Entschuldigungen mehr. Trotzdem wollen wir unsere Amateurhaftigkeit beibehalten, sonst wird's schulisch.

Dorothee Wenner