18 aufrechte Raser

■ Metamorphose eines Autokorsos: Die Protestfahrten gegen das Tempolimit auf der Avus rollen noch immer, geschrumpft und auf extremerem Kurs

Charlottenburg. „Apfelsinendiebe“, „Säufer“ und „kriminelle Verbrecher“ wetterte Bernd S. am letzten Samstag nachmittag vor dem Zoo-Palast gegen Berliner Senatorinnen, Senatoren und ihren Chef. Den anwesenden Polizisten, die S. und den Troß seiner Anhänger zuvor noch unter einem Aufgebot von fünf Polizeikrädern ins Zentrum eskortiert hatten, wurde es schließlich zu bunt. Kurzerhand beschlagnahmten sie das Redemanuskript und erstatteten Anzeige wegen Volksverhetzung und Beleidigung. Die Abschlußkundgebung des wöchentlichen Autokorsos gegen das Tempolimit auf der Avus endete in der letzten Woche mit einem Flop für den Veranstalter.

Doch was sich am vorigen Samstag um 16 Uhr 45 rollend vom Übergang Dreilinden bis ins Zentrum bewegte, war ohnehin nur noch ein arg gekürzter Torso des einst kilometerlangen Autokorsos hunderter frustrierter Fahrer, die innerlich rasten, weil sie nicht mehr rasen durften. Diesmal waren lediglich 18 mit deutschen Fahnen und zusätzlichen Blinkanlagen aufgemotzte Automobile im Stauraum vor dem ehemaligen Grenzübergang aufgefahren. Während Polizisten auf der Avus den normalen Verkehr nach hinten aufstauten, nahm der Demotroß Kurs in Richtung City. In der Innenstadt wurden größere Kreuzungen dann sogar für die Passage des Minikorsos gesperrt. „Nur für jeweils maximal 25 Sekunden“, versicherte ein Sprecher der Polizei. Der Autokorso, der - von der Öffentlichkeit kaum mehr beachtet - wie ein Zombie weiterlebt, soll inzwischen gruselig mutiert sein: „Das sind Leute, mit denen wir uns nicht mehr identifizieren können“, erklärt dazu Thomas Seidel von der „Bürgerinitiative gegen das Tempolimit auf der Avus“, die den Demonstrationszug einst initiierte. Es seien schließlich immer mehr Republikaner-nahe und noch weiter rechts stehende Personen gewesen, die sich an den Protestfahrten beteiligt hätten. Als klar wurde, daß der politische Kurs des Korsos immer extremer wurde, hätten sich die ursprünglichen Initiatoren schon vor Monaten zurückgezogen. Von dem jetzigen Macher des Korsos, Bernd S., erzählt einer, der ihn kennt: „Dem geht das nur noch um den Protest an sich.“

„Seriöse“ Nachfolgeorganisationen der Bürgerinitiative gegen das Tempolimit ist der neugegründete „Verein engagierter Verkehrsteilnehmer e.V.“ (VEV), dessen Vorsitzender Seidel ist. Man sei nach wie vor gegen ein allgemeines Tempo 30 in der Stadt und auch gegen Tempolimits auf der Autobahn. Begründung: Bei gleichbleibend niedrigem Tempo lasse die Aufmerksamkeit nach und steige die Zahl der Unfälle.

Der Autokorso freier Bürger - ist er inzwischen zu einem Kreuzfahrerzug rechtslastiger Großstadtdesperados geworden? Für heute nachmittag ist bei der Polizei eine weitere Demonstrationsfahrt angemeldet.

marc