BLEICH UND BIERBÄUCHIG

■ Vom zweifelhaften touristischen Aufschwung der venezolanischen Karibikinsel Margarita

Vom zweifelhaften touristischen Aufschwung der venezolanischen Karibikinsel Margarita

VON BIRGIT RAMBALSKI

„Margarita? Das ist doch nur eine Einkaufsinsel. Da starten und landen den ganzen Tag die Bananenbomber, die die Venezolaner vom Festland mit Bergen von Plastiktüten und Louis- Viton-Taschen überfüllen.“ Bei Einheimischen ist das Image der 40 Kilometer vom Festland entfernten Insel so einseitig wie bei der Tourismusindustrie, die die „Isla Margarita“ unverändert als „Perle der Karibik“ vermarktet. Doch beides tut der 933 Quadratkilometer großen Insel Unrecht.

Venezuela hat erst vor knapp fünf Jahren den Tourismus „entdeckt“, als das Erdöl endgültig als Hoffnungsträger für die Wirtschaft versagte und der Dollarpreis verfiel, auf den das bis dahin zu kurzzeitigem erdölbedingten Reichtum gekommene Land gesetzt hatte. War es zuvor selbst für die reichen AmerikanerInnen zu teuer, in Venezuela oder auf seiner bis dahin touristisch noch unentwickelten Karibikinsel Urlaub zu machen, so fielen mit der Dollarschwäche als erste die KanadierInnen ein: Im rasch errichteten Hotelbunker „Concorde“ am Strand von Porlarmar auf Margarita kamen sie für 320 kanadische Dollar pro Woche, inklusive Flug, Unterkunft und Vollverpflegung, unter. Bier, Rum, Cola, Fisch und Lobster bis hin zum Sprit für die landesüblichen Straßenkreuzer nach amerikanischem Vorbild alles war für die Fremden wahnsinnig billig. Anfang der siebziger Jahre zum Freihafen erklärt, hatte sich die einst verschlafene Hafenstadt der Insel eh schon zu einem überregionalen Einkaufszentrum entwickelt: 1.400 Läden für Billig-Druck-T-Shirts, Hongkong -Elektro-Schnick-Schnack, Spirituosen und die gängigen Parfüms aus aller Welt reihen sich in rechtwinkligen Straßenzügen aneinander - ebenfalls gemäß dem american-way -of-life, obwohl die „gringos“ sonst nicht besonders gern gesehen sind.

Das corpo tourismo setzte auf den schnellen Dollar. Ein Hotelsilo nach dem anderen, an internationalen Standards kaum zu messen und dennoch mit vier Sternen versehen, im Zentrum der Insel häufig überbucht, wurde ohne jegliche Infrastruktur aus dem Boden gestampft. Doch so plötzlich wie er begann, versiegte der Strom kanadischer TouristInnen wieder: Die Statistiken verzeichnen 50 Prozent Rückgang.

„Geheimtip“ der Regenbogenprese

Neue Hoffnungsträger sind jetzt die fernreisewilligen EuropäerInnen. Sie wurden auf der letzten Tourismusbörse in Berlin massiv umworben. LTU und Condor fliegen seit November letzten Jahres direkt bis Barcelona an der karibischen Küste Venezuelas. Im Mai ist zu den 24 Veranstaltern, die Margarita und die Küstenstädte anbieten, ein weiterer aus Hamburg hinzugekommen: zwei Wochen Margarita für 1.700 D -Mark. Das Interesse ist groß. Bleich und bierbäuchig zumeist, oft aber auch Solarium-vorgebräunt, reisen sie rudelweise an, die fern- und sonnenhungrigen Deutschen, mit lockerem Portemonaie, spendierfreudig, schnell armut-gerührt und vor allem: missionarisch, was die „richtige Art“ zu leben und - vor allem - zu arbeiten anbelangt. Mallorca, Rimini und die Kanaren haben sie satt, weil zigmal bereist. Und weil Thailand, die Malediven und Kenia auch schon abgehakt sind, lockt die seit vier Jahren besonders per Regenbogenpresse als „Geheimtip“ gehandelte Karibikinsel. 3.000 Deutsche hat allein der Münchner Spezialanbieter und Pionier für Margarita-Reisen, „Colosal-Tours“, im vergangenen Jahr nach Porlarmar geflogen. Für 1990 rechnet „Colosal“ mit 10.000 bis 14.000 TouristInnen.

„Es sind immer mehr ältere Leute, auch Rentner. Etliche kommen auch schon zum zweiten oder dritten Mal“, beschreibt Cornelius Hötzl, Manager eines ausschließlich von Deutschen belegten Hotels, die Entwicklung. Sie kämen mit völlig falschen Vorstellungen: Beschweren sich über die Calamares auf der Mittagskarte, wenn sie nature und nicht frittiert wie beim heimischen Italiener zubereitet sind. Sie vermissen den blendend weißen Karibikstrand, die tiefblauen Badestrände. Zum Schnorcheln und Surfen sind Margaritas Küsten nicht geeignet. Diskotheken und High-Life bietet lediglich die ansonsten gesichtslose Stadt Porlarmar. Also ziehen die UrlauberInnen sich in Skat-spielende Dreiergrüppchen zurück, halten sich an Daiquiri oder Pina-Colada fest und geben den immer freundlichen, immer hilfsbereiten und fröhlichen Kellnern Deutschunterricht.

„Die jungen Leute, die von hier aus auf Entdeckungsreisen gehen, die neugierig sind und offen auf Land und Leute zugehen - die kommen leider immer seltener“, stellt der einstige Touristikstudent Hötzl fest. Auch Reiner Tominski, Pionier ausländischer Touristikunternehmen auf der Insel und seit fast zwei Jahren Vertrauensmann der Deutschen Botschaft in Venezuela, kritisiert: „Margarita ist weder die 'Perle der Karibik‘ noch ein Schlaraffenland. Die Prospekte locken mit falschen Versprechungen.“ Die wirklichen Reize der Insel mit ihrem Mangrovenwald, mit Austernbänken und Lagunen, mit Pelikan- und Flamingorevieren, mit Regenwald, Steppe und Mangoplantagen fallen den längst überholten Verheißungen der Prospekte und Kataloge zum Opfer:

„Bier, Cola: 60 Pfennig; 1 Liter Benzin: 16 Pfennig; Kaffee: 30 Pfennig; 1 Dutzend Austern: 1,60 DM; 1/2 Kilo Lobster: 19 DM; 1 Stange Markenzigaretten: 9 DM.“

Reiner Tominski: „Die Inflation ist so rasant, daß besonders in Caracas die Kriminalität ein wirkliches Problem wird.“ Längst reicht auch auf Margarita, wo der Lebensstandard im Vergleich zum Festland relativ hoch ist, der Verdienst zum Lebensunterhalt nicht aus. Ein guter Kellner verdient 10.000 Bolivares (Bs) im Monat - gerade soviel, um die Miete eines durchschnittlichen Hochhausappartements zu bezahlen. Ein staatliches LehrerInnengehalt liegt bei 8.000 Bs - kein Wunder, daß die LehrerInnen den gesamten Monat März streikten. Zur Zeit bezahlt ein Reisender übrigens für 100 Bs ganze 6,50 D-Mark; will er Bolivares zurücktauschen, bringen 100 Bs dagegen nur noch eine Deutsche Mark.

Die rasende Inflation hat auf Margarita allerdings auch andere Spuren hinterlassen: Bauruinen. Während vermeintlich kritische Reiseberichte den Baulärm geißeln und ProfinörglerInnen Argumente liefern, bleiben immer mehr Projekte allein wegen der um 200 Prozent gestiegenen Konstruktions- und Baupreise stecken.

Berater aus Gran Canaria und Mallorca

Kaum umzugehen, weiß die Inselregierung auch mit dem Müll, den die Touristenmassen mit sich bringen: Eine Müllverbrennungsanlage soll erst gebaut werden. Bislang bringen offene Laster den unkoordiniert gesammelten Dreck im Eiltempo in versandete Lagunen - die Hälfte verlieren sie dabei allerdings in die Umgebung, in Kakteen und Hibiscus -Hecken am Straßenrand. Die zahllosen Grillhütten und typischen Austernbuden unter Palmen am Vorzeigestrand „Playa El Agua“ sind das nächste Opfer der BesucherInnenströme: Sie sollen vom Strand hinter den auszubauenden Boulevard verlegt werden - mit der Auflage, Kläranlagen einzubauen. Wer nicht mitziehen kann, soll eine Abfindung erhalten. Ähnliche Gesetzesvorschriften bestehen auch für alle neuzubauenden Hotels: Kläranlagen sind unbedingtes Muß - wenn der Besitzer sich nicht durch Bestechungen aus der Affäre zu ziehen weiß. Ob das ökologische Bewußtsein von Bevölkerung und Politikern allerdings ausreichen wird, um die bereits beschlossene komplette Verlegung eines Fischerdorfes noch zu verhindern, das einer Hotelanlage mit Tennisplätzen und Golfplatz weichen soll, ist fraglich. Zumal sich der venezolanische Touristikminister bislang nur Berater aus Gran Canaria und Mallorca ins Land holte.

Und dabei wurde in der Vergangenheit in Venezuela sehr viel Wert auf umfassenden Naturschutz gelegt: Mehr als die Hälfte des Landes ist Nationalpark oder Naturdenkmal. In ihnen darf sich der Tourist nur auf vorgeschriebenen Pfaden bewegen. Indianerdörfer beispielsweise dürfen ausschließlich mit militärischer Genehmigung besucht werden. Spezielle „PR -Indianer“ führen und empfangen die Gruppen. Das Dorf wird so vor unerwünschten Eindringlingen geschützt. Entsprechend durchorganisiert sind auch die Festlandsausflüge der Margarita-Reisenden: Zum Orinoco-Delta, in den Dschungel, auf Kaffeeplantagen. In Canaima beispielweise empfangen Indianer die TouristInnen mit auf Ästen aufgespießten Grillhähnchen - vom Reiseunternehmen bezahlt versteht sich. Trotzdem können sich die barbusig reisenden GafferInnen aus Europa mit Blick auf die fernab liegenden Zeltdörfer nicht verkneifen, festzustellen: „Denen hat man ja ganze Siedlungen gebaut und angeboten. Die haben es aber vorgezogen, faul in diesem Dschungel zu hausen.“