Sozialkasse vor der Pleite

■ Krankenkasse: ein Drittel Ausstände / Regierung mahnt

Berlin (taz) - Sieben Milliarden Mark könnten bis zum Ende des Jahres in den Sozialkassen der DDR fehlen. Dieses Ergebnis einer Hochrechnung aus Bonn hat im DDR -Gesundheitsministerium für Aufregung gesorgt. In die Krankenkasse sind nach ersten Schätzungen nur rund ein Drittel der eingeforderten Beitragssumme von 1,6 Milliarden Mark eingezahlt worden. Einige Betriebe mit Liquiditätsproblemen sind den Zahlungsaufforderungen nicht nachgekommen. Durch die zunehmende Kurzarbeit hat sich der Anteil an Abschlagszahlungen vergrößert, und von diesen werden in der DDR keine Sozialversicherungsbeiträge abgezogen. Außerdem fließt der Strom sehr zäh: 12 Tage dauert es meist, bis das Geld vom Betrieb über die Finanzämter zur Krankenkasse gelangt. „Problem erkannt“ signalisierte das Kabinett de Maziere am Mittwoch mit einem Beschluß „zur Erhöhung der Beitragsdisziplin“.

Damit kann aber kaum das 3,3-Milliarden-Loch im Sozialhaushalt gestopft werden, daß für den Fall des Anstiegs der Arbeitslosen- und Kurzarbeiterzahl auf 1,4 Millionen prognostiziert wurde. Bisher sind davon 828.000 Menschen in der DDR betroffen. Ob die Arbeitslosenversicherung, deren Anschubfinanzierung laut Staatsvertrag für 440.000 Arbeitslose berechnet ist, dann in der Lage ist, die Beiträge an die Krankenkassen vollständig und rechtzeitig zu überweisen, ist fraglich. Fieberhaft suchen die Verantwortlichen im ständigen Kontakt mit Bonn nach Auswegen.

Die Krankenkasse, die zukünftig wieder nach dem Prinzip der „Solidargemeinschaft“ funktionieren und sich aus dem Beitragsaufkommen der Versicherten selbst tragen wird, sollte zunächst ohne Anschubfinanzierung auskommen. Nun konnte mit Hilfe eines Darlehens in Höhe von knapp zwei Milliarden Mark gerade die Auszahlung der Juli- und Augustgehälter für die Mitarbeiter der Polikliniken, Arztpraxen und Krankenhäuser gesichert werden.

Für die Bevölkerung hat die prekäre finanzielle Lage der Krankenkasse noch keine spürbaren Folgen. Veränderungen ergeben sich im Zusammenhang mit der Anpassung an das bundesdeutsche Gesundheitssystem erst ab 1991. Mit Beginn nächsten Jahres müssen Medikamente, die zur Heilung nicht erforderlich sind, vom Patienten selbst bezahlt werden. Ab Juli 1991 werden für 14 Tage Krankenhausaufenthalt 2,50 DM pro Tag und außerdem eine Rezeptgebühr von je 1,50 DM erhoben.

ig