DDR-SPD übt sich in Oppositionsrolle

■ Nach der absehbaren Aufkündigung der Koalition in Ost-Berlin legen die DDR-Genossen ihre Forderungen für den Einigungsvertrag vor / Doch ohne Einigungsvertrag droht ein Überleitungsgesetz

Von Matthias Geis

Berlin (taz) - Die große Unbekannte im Poker um den Regierungsaustritt der DDR-SPD spielt derzeit noch Fraktionschef Richard Schröder. Denn als gestern abend Fraktionsvorstand und Präsidium ihre Empfehlung für den Ausstieg formulierten, war Schröder nicht dabei. Immerhin ließ der Fraktionsvorstand in Ost-Berlin gestern etwas verklausuliert verlauten, Schröder, mit dem man in ständigem Telefonkontakt stehe, habe „andere Wünsche“ geäußert als die in Berlin tagenden Spitzengenossen.

Das kommt kaum überraschend. Schröder galt bislang als mächtigster Garant der Ost-SPD für die Beibehaltung der Großen Koalition. Trotz aller Brüskierungen durch die CDU gelang es ihm bislang immer wieder, die Empörung gegenüber dem dominanten Partner zu mildern und die Fraktion auf das Regierungsbündnis einzuschwören. Deshalb munkelt man in Berlin, mit Schröder wäre die Erklärung der Genossen für den Koalitionbsbruch nicht so deutlich ausgefallen. Denn die Formulierung, nur unter „extremster Selbstverleugnung“ sei die SPD in der Regierung verblieben, trifft zuallererst Schröder. Der hat nie einen Hehl daraus gemacht, daß ihm die Koalitionsdisziplin wichtiger war als die abweichenden Meinungen aus der Partei.

Dennoch wird es Schröder, der am Sonntag zur entscheidenden Sitzung der SPD-Fraktion nach Berlin zurückkehrt, wohl kaum mehr gelingen, das Votum der Führungsgremien zu kippen. Deshalb konzentrierte sich die Partei gestern bereits auf die Strategie nach dem Bruch. Wie schon am Vortag bemüht, die parteitaktischen Aspekte der jüngsten Regierungskrise zugunsten der inhaltlichen Dissenspunkte herunterzuspielen, ging die Fraktionsspitze gestern mit ihren Essentials zum Einigungsvertrag in die Offensive. Sie untermauerte damit die Drohung, notfalls werde man auch die Zustimmung verweigern, was - angesichts der notwendigen Zweidrittelmehrheit in beiden deutschen Parlamenten - auf ein Scheitern des Vertrages hinauslaufen würde.

Als ersten Knackpunkt bei den Verhandlungen, die am Montag in Bonn fortgesetzt werden, erneuert die SPD erwartungsgemäß die Forderungen des entlassenen Finanzministers Walter Romberg. Die absehbare Verschuldung der DDR-Länder müsse verhindert, und eine „gleichberechtigte Teilnahme“ am Länderfinanzausgleich gewährleistet werden. „Verbleibende Finanzlücken“ der DDR-Länder - so ein Papier der Fraktionsleitung summarisch - müsse der Bund „durch Zuwendungen schließen“.

Schwer vorstellbar, daß de Maiziere seine Koalition mit der Entlassung des Fianzministers erst in den Ruin treibt, um dann dessen Vorstellungen doch noch im Einigungsvertrag unterzubringen. Überhaupt herrscht innerhalb der SPD derzeit Unklarheit, wie man nach dem Regierungsaustritt noch Einfluß auf die Verhandlungen nehmen kann. Immerhin, meinte Manfred Stolpe, SPD-Spitzenkandidat in Brandenburg gestern, seien ja die SPD-Ländervertreter auch weiter mit von der Partie. Ob deren Einfluß ausreicht, um - ein zweites Essential - die Eigentumsrechte der DDR-BürgerInnen gegenüber Ansprüchen aus dem Westen zu sichern, bleibt jedoch ebenfalls fraglich.

Zwar hat auch Lothar de Maiziere immer wieder darauf bestanden, daß die Ergebnisse der Bodenreform auch nach der Vereinigung nicht angetastet werden dürfen; doch eine klare Zusage dieser Forderung aus Bonn steht weiter aus. Eher vage formuliert sind einige sozialpolitische Forderungen, von denen die SPD ihre Zustimmung zum Einigungsvertrag abhängig machen will, so eine finanzielle Mindestsicherung sowie „keine Diskriminierung von DDR-Bürgern im öffentlichen Dienst“. Neue Staatszielbestimmungen für die künftige Verfassung, wie Recht auf Arbeit, Wohnen, Bildung und gesunde Umwelt, gehören ebenfalls zum vorgelegten Forderungspaket.

Während die SPD so ihre Drohung vom Vortag, den Einigungsvertrag notfalls platzen zu lassen, präzisierte, bleiben die Konsequenzen eines solchen Schrittes auch innerhalb der Partei unklar. Denn dann droht der schnelle Beitritt der DDR, der nicht mit einem detaillierten Vertrag, sondern nur mit einem sogenannten Überleitungsgesetz geregelt werden würde. In ihm müßte, für die Übergangszeit bis zu den gesamtdeutschen Wahlen, die parlamentarische Vertretung der DDR im Bonner Parlament gesichert werden. Alle weiteren inhaltlichen Bestimmungen zum Beitritt blieben dann diesem erweiterten gesamtdeutschen Gesetzgeber vorbehalten.

Das jedoch kann schwerlich im Interesse der DDR-SPD liegen. Denn in diesem Falle würden auch die bereits im Einigungsvertrag ausgehandelten Regelungen wieder zur Disposition gestellt. Es scheint, als wüßten die Genossen derzeit selbst nicht so genau, was sie sich mit einem Veto zum Einigungsvertrag einhandeln. Denn wenn nicht noch in Bonn quasi in letzter Minute der große Wille zum parteiübergreifenden Konsens ausbricht, wird die Interessenvertretung der DDR-Bürger mit einem Überleitungsverfahren weiter verschlechtert.