Zwei Jahre ohne Apartheid leben

■ Aus Lainsburg, Südafrika, nach Kladow in Berlin: Am 9. November hat Persephone Smith auf dem Ku'damm mitgefeiert, am Abend der Fußball-Weltmeisterschaft ist sie zu Hause geblieben - aus Angst vor dem „Wir-sind-wieder-wer„-Gefühl

Berlin. Das Land Luthers hat sie sich nun wirklich anders vorgestellt: die Deutschen ein bißchen gläubiger, die Kirchen ein bißchen voller. Daß die Gottesdienste sonntags nur mäßig besucht werden, Pfarrer sich mit Kirchenaustritten herumschlagen und Aktivitäten in der Gemeinde hier eher die Ausnahme als die Regel sind - all das hat sie anfangs „geschockt“. Persephone Smith, die für zwei Jahre aus der lutherischen Gemeinde eines farbigen Wohnviertels im südafrikanischen Lainsburg ins gutbürgerliche Kladow gekommen ist, mußte sich erst einmal Literatur über den Zustand der Kirchen in Deutschland besorgen. „O.K., jetzt weiß ich, was eine säkularisierte Gesellschaft ist“, sagt sie und grinst. Berlin sei eben eine Großstadt, da gebe es sonntags anderes zu tun, als dem Pfarrer zuzuhören.

Eigentlich ist die 26jährige Lehrerin aus Südafrika nach Berlin gekommen, um ihr Deutsch zu vervollständigen und in der Kladower Gemeinde am Groß-Glienicker See auszuhelfen. Dank diverser historischer Ereignisse hat sich ihr Arbeitsgebiet etwas geändert.

Die Buren sind scharf auf weiße Einwanderer“

Seit einigen Monaten betreut ihre Kirchengemeinde auch das Flüchtlingslager auf dem Gatower Flughafen: Rund 200 Menschen, vor allem aus Rumänien, Bulgarien, dem Baltikum und Polen leben dort in garagenähnlichen Containern und warten: auf ihre Verteilung nach Westdeutschland, auf Arbeit oder auf das Visum für das Traumland Amerika, das kaum einer von ihnen bekommen wird. Da winken schon eher die Einwanderungsbehörden in Südafrika. „Die Buren sind ganz scharf auf weiße Immigranten“, sagt Persephone. Zwei rumänische Familienväter haben sie bereits nach den Vor- und Nachteilen ihrer Heimat befragt. Sie werden es gut haben dort, hat sie ihnen geantwortet, „besser als meine Leute“.

Persephone betreut die Flüchtlingskinder im Lager. Es bedarf immer einiger pädagogischer Anstrengungen, auch die Roma-Kinder auf dem Spielplatz zu integrieren. Persephone ist überzeugt davon, daß man Kindern rassische Vorurteile durchaus ausreden kann, solange sich nur die Eltern heraushalten. Sie besteht auf dieser Überzeugung vielleicht hartnäckiger als andere Betreuer, „wohl weil ich aus dem südafrikanischen Kontext komme“.

Zu Hause, an ihrer Schule, darf sie, die nach den Gesetzen der Apartheid nicht schwarz, sondern farbig ist, nur farbige Kinder unterrichten, aber keine Schwarzen und schon gar keine Weißen. Ihre weißen KollegInnen haben Zugang zu allen Klassen - wenn sie wollen. „Das Schulsystem“, sagt Persephone, „ist eine zentrale Säule der Apartheid - und sie steht ganz fest.“

Zu erfahren, wie man ohne Rassentrennung lebt, war einer der Gründe, nach Deutschland zu kommen. Sie mußte sich daran gewöhnen: den Sitzplatz in der U-Bahn genauso zielstrebig anzusteuern wie der weiße Fahrgast; einfach in jedes Theater gehen zu können, im Zug den Speisewagen benutzen zu dürfen, auf der Post nicht mehr die Anspannung im Nacken zu spüren, weil der Beamte vielleicht gleich sagen wird: „Laß die Weiße zuerst dran.“

Im Berliner Alltag überwiegt das Gefühl, in der Kladower Gemeinde bestens aufgehoben zu sein. Wenn Bemerkungen gemacht werden, dann eher aus unbedarfter Neugier. Ob Schwarze auch Sonnenbrand bekämen, haben die Leute gefragt. Sie lacht und ärgert sich insgeheim doch, wieder an ihre Hautfarbe erinnert zu werden. „Die vergesse ich manchmal tatsächlich.“

Das Resümee, fünf Monate vor der Heimfahrt, ist trotzdem ernüchternd. Da waren die Kaufhausdetektive, die sie aus einer Gruppe von Weißen herausgriffen und abführten, weil der Hausalarm ausgelöst worden war. Ihre Tasche wurde durchsucht, sie mußte sich vor einer Verkäuferin ausziehen und wurde schließlich mit einem „Tut uns leid, ist so hektisch heute“ wieder entlassen. Vor Wut hätte sie am liebsten geheult, „aber dann habe ich mich zusammengerissen und mir gesagt: Vor den Typen weinst du nicht“.

Da war die Szene am U-Bahnhof Sophie-Charlotte-Platz, als eine Frau sie anschrie „Ihr Ausländer, macht doch, daß ihr nach Hause kommt!“ In solchen Fällen nimmt sie sich immer fest vor, laut auf Afrikaans zu fluchen, „aber ich bin dann so verdattert, daß ich nichts sage“. Und da sind die ganz „normalen“ Vorsichtsmaßnahmen, die man als Schwarze und als Frau auch in einem Land ohne Apartheid einhält: abends nicht allein in der U-Bahn fahren, sich vor Gruppen in acht nehmen, die „Deutschland, Deutschland über alles“ grölen. Deshalb ist sie in der Nacht, als die Bundesrepublik Fußballweltmeister wurde, nicht auf die Straße gegangen, weil ihr das „Wir-sind-wieder-wer„-Gefühl angst macht.

Die Angst war am 9. November noch nicht da, als Persephone Smith aus Lainsburg in der Kapprovinz auf dem Ku'damm mit euphorisierten, verheulten, lachenden und betrunkenen BerlinerInnen die Maueröffnung feierte.

Das zu erleben, sagt sie, sei schon die ganze Reise wert gewesen. Es gab auch Tage, da fühlte sie sich, aller historischen Bedeutung der deutsch-deutschen Ereignisse zum Trotz, am falschen Ort. Als am 11. Februar die Bilder von Nelson Mandelas Freilassung um die Welt gingen, hätte sie sich am liebsten ins nächste Flugzeug nach Johannesburg gesetzt. Auch sonst fühlt sie sich oft abgeschnitten von zu Hause, die Informationspolitik der deutschen Medien über Südafrika hält Persephone für dürftig. „Wenn ich wirklich wissen will, was los ist, höre ich BBC.“

Den Gedanken, hier zu bleiben und sich zur Logopädin ausbilden zu lassen, hat sie wieder verworfen. Sie vermißt ihre Schule, das Afrikaans, und hofft, daß vielleicht nicht nur in Deutschland historische Zeiten angebrochen sind. Ende des Jahres fliegt sie zurück. Einige rumänische Familien, deren Kinder sie betreut hat, werden ihr vielleicht bald folgen. Sie sind dann nicht mehr unerwünschte Flüchtlinge, sondern willkommene Weiße, werden schnell genug Geld verdienen, um sich eine schwarze Hausangestellte und einen Dienstboten leisten zu können. Und dann, befürchtet Persephone, „sind sie mindestens genauso schlimm wie unsere Buren“.

Andrea Böhm