Nicht wieder die Finger verbrennen

■ Ein Gespräch über Umbenennungen mit Jürgen Karwelat von der Westberliner Geschichtswerkstatt

Schon sind die ersten Straßenumbenennungen im Ost-teil der Stadt ausgemachte Sache. Zuerst sollen die übelsten Stalinisten von den Schildern verschwinden, spannend wird es, wenn es später an die Detailfragen geht. Müssen auch die sozialistischen Theoretiker allesamt dran glauben? Doch auch in West-Berlin sollte man sich angesichts der Vereinigung der Stadthälften mal wieder Gedanken über die Straßennamen machen. Noch finden sich viele Adlige, Militaristen, Kriegshelden, Kolonialisten, Antidemokraten und Nazi -Vorläufer an den Straßenecken. Die taz interviewte Jürgen Karwelat von der Westberliner Geschichtswerkstatt zu Umbenennungen in Ost und West.

taz: Wie ist denn nach Ihren Informationen der Stand der Dinge in Ost-Berlin?

Jürgen Karwelat: Ganz genaue Informationen habe ich nicht. Ende April gab es eine Vorschlagsliste des alten Magistrats von insgesamt 42 Namen. Aber das ist nicht weiterverfolgt worden und wurde inzwischen an die Bezirke delegiert. Die sammeln jetzt jeder für sich Vorschläge. Aus Friedrichshain weiß ich da ein prägnantes Beispiel. Die Straße der Pariser Commune soll in Fruchtstraße rückbenannt werden - das ist der uralte Name dieser Straße. Obwohl man sich als demokratisches Gemeinwesen ja durchaus weiter auf die Commune berufen könnte.

Wie stehen Sie von der Geschichtswerkstatt denn zu diesen Umbenennungen?

Eine Reihe von Straßen sollte tatsächlich umbenannt werden. In erster Linie diejenigen mit Namen der SED-Politiker, die da im Stadtbild verewigt werden sollten. Einige haben diese Straßen wirklich nicht verdient.

Sie meinen die Hardliner?

Ja. Die Stalinisten. In Potsdam zum Beispiel ist ja die Klement-Gottwald-Allee bereits umbenannt worden. Das war ein ausgesprochener Stalinist in der CSSR.

Wo soll man da die Grenze ziehen?

Die Grenze ist natürlich immer im Einzelfall zu ziehen. Man sollte nur nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und gute Traditionen der deutschen Geschichte gleich mit aus dem Stadtbild verbannen. Da ist in Ost-Berlin in den letzten Jahren auch einiges Gutes passiert. Salopp gesagt, all das, was das deutsche Kulturgut angeht, die Dichter, Schriftsteller, die bildenden Künstler und die Musiker. Ich fände es schlicht falsch, wenn man auch an den Bert Brecht herangehen würde.

Auf was wird denn zurückgegriffen, wenn umbenannt wird?

Momentan ist es in Ost-Berlin wohl so, daß versucht wird, auf alte, traditionelle Namen auszuweichen, die nichts mit Personen zu tun haben. Man will sich nicht wieder die Finger verbrennen. Ich glaube, da gibt es auch eine gewisse Ratlosigkeit. Ob man nicht wieder an Leute gerät, die dann doch etwas mit dem Totalitarismus am Hut hatten. Aber ich finde, man sollte auch nicht zu vorsichtig sein.

Sind Straßenumbenennungen in fortschrittliche Richtung denn überhaupt notwendig? Läßt sich nicht auch an reaktionären Namen politisch was lernen?

Das glaube ich nicht. Straßennamen haben etwas mit Ehrung zu tun. Das ist ja nicht nur ein Sinnbild wie etwa bei Denkmälern, wo man nicht so stringent sein muß, die man durchaus auch stehen lassen kann. Aber Straßennamen sind eben eine Ehrung - einen Adolf-Hitler-Platz müssen wir nun wirklich nicht haben, um daran zu erinnern, für welche Schandtaten der verantwortlich ist.

Auf der rechten, konservativen Seite wird das Straßenumbenennen ja gern als eine Manie, als ewiges Hin und Her bezeichnet.

Immer dann, wenn die Gesellschaft umgewälzt wurde, hat sich das in Berlin am härtesten niedergeschlagen. Das war 1933 so und auch 1945. Wobei nach dem Krieg große Pläne gemacht wurden, die aber nur zu einem sehr kleinen Teil verwirklicht werden konnten. Damals war eine großflächige Umbenennung nach den Namen von PazifistInnen geplant. Es wurden verschiedene Kommissionen auf Bezirks- und Magistratsebene gebildet, die Vorschläge gesammelt haben. Das summierte sich auf etwa 1.600 Straßen - von insgesamt rund 10.000 Straßen in der Stadt. Nur 200 sind dann umbenannt worden, die Diskussion ist durch den Kalten Krieg völlig abgewürgt worden.

Hat die Geschichtswerkstatt heute noch ähnliche Vorstellungen?

Im Prinzip ja. Nur muß man einsehen, daß nicht eine ganze Stadt per Rundumschlag verändert werden sollte - so wie das in Ost-Berlin in den fünfziger und sechziger Jahren passiert ist. Da haben sich die Leute dann selbst nicht mehr zurechtgefunden. Man muß da Augenmaß walten lassen.

Was gehört denn im Noch-Westteil auf jeden Fall umbenannt?

Da sind erst mal die Namen, die in der Nazizeit gegeben wurden und nach dem Zweiten Weltkrieg nicht wieder beseitigt worden sind. Es gibt da eine Reihe von Beispielen, das kompakteste ist das sogenannte Fliegerviertel in der Nähe des Tempelhofer Flughafens. Das sind Namen von Fliegerhelden des Ersten Weltkriegs. Mitte der dreißiger Jahre wurde die gesamte Siedlung auf Vorschlag von Göring umbenannt. Nach dem Krieg war dann ursprünglich geplant, das Viertel mit Namen von stark pazifistisch engagierten SchriftstellerInnen zu versehen. Die Vorschläge sind in der Bürokratie versackt. Das heißt also, daß dort alles so heißt, wie von den Nazis benannt. Ich bin der Meinung, daß zumindest eine der Straßen symbolisch umbenannt werden sollte. Insbesondere der Werner -Voß-Damm. Die Nazis schätzten diesen Fliegerhelden ganz besonders, weil der schon im Ersten Weltkrieg ein Hakenkreuz auf den Rumpf seines Doppeldeckers gemalt hatte, lange bevor es die Nazi-Bewegung gab.

Und wie ist das mit den deutschen Kolonialisten? Im „Afrikanischen Viertel“ im Wedding, da gibt es doch ein Beispiel für eine Umbenennung aus der jüngsten Zeit...

Ja, das ist eine besonders absurde und skurrile Angelegenheit. Vor einigen Jahren wurde dort die Petersallee in Petersallee umbenannt. Ursprünglich war die Straße nach einem der exponiertesten deutschen Kolonialherren benannt, bis die AL im Jahre 1984 einen Antrag auf Änderung stellte. Vorgeschlagen wurde beispielsweise Albert-Schweitzer-Straße. Das wurde aber in der Bezirksversammlung abgeblockt, und die CDU kam dann auf die geniale Idee, nicht die Straße umzubennen, sondern nur den Widmungszweck zu ändern. Heute also erinnert die Petersallee nicht mehr an den Kolonialisten Karl Peters, sondern an den Weddinger Lokalpolitiker und CDU-Widerständler Hans Peters.

Gibt es denn Straßen in West-Berlin, die noch nach Nazis benannt sind?

Soweit ich weiß, nein. Aber es sind noch eine Menge Umbenennungen aus der Nazizeit vorhanden, insbesondere Namen von Militaristen. Beispielsweise das Schlieffen-Ufer in der Nähe des Reichstags. Es wurde nach dem General benannt, der die Idee des Zweifronten-Kriegs entwickelt hat, die von den deutschen Truppen dann im Ersten Weltkrieg auch angewendet wurde - zur Eroberung des neutralen Belgien. Dann ist da noch die Graf-Spee-Brücke, ein Neubau einer Fußgängerbrücke, der erst drei Jahre alt ist. Die Vorgängerin dieser Brücke hatten die Nazis 1934 so genannt. Hier wäre es konsequent, auch die Brücke umzubenennen, zumal der Bezirk Tiergarten ja die dazugehörige Graf-Spee-Straße in Hiroshimastraße umbenennen will.

Interview: Hans-Hermann Kotte