Ab 2. Dezember zu den Waffen?

■ Senatsvorlage sieht Übernahme der Wehrpflicht mit dem Tag der Vereinigung vor / Betroffen sind die nicht älter als 17jährigen / Wahlfreiheit zwischen Wehr- und Zivildienst / Morgen Beschluß im Senat, Zustimmung Bonns ist aber ungewiß

Berlin. Am Tag der Vereinigung geht die entmilitarisierte Zeit in West-Berlin zu Ende: In seiner morgigen Sitzung wird der Westberliner Senat (gemeinsam mit dem Magistrat) aller Voraussicht nach einen Beschluß fassen, der die Übernahme der allgemeinen Wehrpflicht in ganz Berlin regelt. In einer Vorlage der zuständigen Bundessenatorin Heide Pfarr (SPD) für die Sitzung wird vorgeschlagen, daß die Wehr- und Zivildienstpflicht mit dem Tag der Vereinigung für alle Berliner beginnt, „die nicht älter als 17 Jahre sind“. Berliner im wehrfähigen Alter zwischen 18 und 32 Jahren blieben also im Sinne eines Vertrauensschutzes verschont - alle über 18jährigen könnten erst einmal aufatmen. In der Vorlage, die der taz zugespielt wurde, plädiert die Senatorin auch dafür, daß die heute in der DDR bestehende Wahlfreiheit zwischen Wehr- und Zivildienst auf West-Berlin ausgedehnt werden solle - es sei denn, im Einigungsvertrag wird diese Regelung aufgehoben. Mit der Einführung der Wehrpflicht müßten sich die Berliner Wehrdienstverweigerer dann nicht der Gewissensprüfung unterziehen, sondern könnten selbst entscheiden, in welcher Form sie den „Dienst“ am Staat ableisten müssen.

Die Bundesregierung wird gebeten, die Ausdehnung der allgemeinen Wehrplicht auf Berlin im Rahmen eines Überleitungsgesetzes, das diese Wünsche Berlins berücksichtigt, zu regeln. Der Berliner Senat reagiert damit auf den Wunsch des Bundesverteidigungsministers, wonach die Wehrverfassung in West-Berlin uneingeschränkt und ohne Übergangsfrist in Kraft treten sollen. Die Hardthöhe wollte auch keine Ausnahmeregelungen für Wehrflüchtige zulassen, die schon seit Jahren in Berlin leben. Gerade in den Jahrgängen von 1963 bis 1969 erhofften sich die Verteidigungsstrategen einen Zuwachs von rund 40.000 „Einberufbaren“.

In der Beschlußvorlage des Senats ist von den Wehrflüchtigen und einer Härtefallregelung nicht ausdrücklich die Rede, sie werden aber indirekt miteinbezogen: „Die in Berlin lebenden, jetzt von der Wehrpflicht betroffenen Bevölkerungsgruppen haben ihre Lebens- und Berufsplanung im Hinblick auf die bisher in Berlin (West) geltende Rechtslage vorgenommen. Zur Wahrung des allgemeinen Vertrauensschutzes sollte die Bundesregierung daher die Überleitungsregelung so gestalten, daß Vorschriften über die Wehrpflicht nur für die Männer Anwendung finden, die bei Inkrafttreten (...) ihren ständigen Wohnsitz in Berlin haben und das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.“ Diese Regelungen sollen am Tag der Vereinigung, wenn die alliierten Vorbehalte für Berlin der Geschichte angehören, auch auf Ost-Berlin ausgedehnt werden.

Ob dieser Wunsch in Bonn auf Gegenliebe stößt, bleibt abzuwarten. Erzwingen kann der Berliner Senat nichts, denn die Wehrgesetzgebung liegt in der Bundeskompetenz. Sollte sich die Bundesregierung mit ihren bisher geäußerten Vorstellungen durchsetzen, sähe die Lage für die Berliner Männer anders aus: Nach Artikel 1 des Wehrpflichtgesetzes könnten bei Inkrafttreten des Überleitungsgesetzes alle Berliner mit dem vollendeten 18. Lebensjahr an die Waffen gerufen werden. Zum Grundwehrdienst könnten alle herangezogen werden, die das 28. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, in Zeiten von Nachwuchssorgen sogar bis zum 32. Lebensjahr. Scharfe Kritik an der Vorlage von Pfarr übte der AL-Abgeordnete Hopmann: Frau Pfarr gehe den Weg des geringsten Widerstandes, indem sie die Wehrpflicht auf die nächste Generation abwälze, sich aber nicht grundsätzlich gegen die Einführung des Kriegsdienstes stelle.

Kordula Doerfler