Viele Ratschläge, wenig Kapital

■ DDR-Wirtschaftskrise scheucht West-Politiker auf / Nur zweihundert Kooperations- und Beteiligungsanträge

Berlin (taz) - Die neueste Schreckenszahl aus der DDR -Wirtschaft gab Wirtschaftsminister Haussmann am Wochenende in einem Interview eher beiläufig bekannt: Nur für rund 200 von rund 8.000 DDR-Unternehmen liegen bislang konkrete Übernahme- und Beteiligungsangebote aus dem Westen bei der Ostberliner Treuhandanstalt vor. Während sich das westdeutsche Kapital in Sachen DDR-Engagement nach wie vor äußerst rar macht, wird die Ost-Republik von den westdeutschen Politikern geradezu mit Ratschlägen überschüttet, wie die Wirtschaftsmisere in den Griff zu kriegen sei. Der unverschämteste kam aus Stuttgart. Um die „Arbeitsmotivation“ der DDR-BürgerInnen zu erhöhen, schlug Ministerpräsident Lothar Späth so etwas wie einen modernen Arbeitsdienst vor: Nur wer sich bei zu gründenden kommunalen Beschäftigungsgesellschaften mindestens halbtags an der Renovierung öffentlicher Einrichtungen beteilige, solle das volle Arbeitslosengeld erhalten. Späth wörtlich in einem Interview mit den 'Stuttgarter Nachrichten‘: „Dann kommt Stimmung auf, wir bringen unsere Stadt in Ordnung.“

Wirtschaftsminister Haussmann hat die DDR -Treuhandgesellschaft aufgefordert, noch im September nicht sanierungsfähige Unternehmen auszusondern und stillzulegen. Er forderte jetzt „schnelle Entscheidungen über Unternehmensverkäufe und Beteiligungen“. Bisher gibt es dafür ganze 200 Anträge, während die gleiche Zahl von DDR -Unternehmen inzwischen als unrettbar verloren gilt. Diesen Betrieben soll jetzt möglichst schnell der Geldhahn zugedreht werden: „Liquiditätsausstattung darf keine Verlustfinanzierung sein“, erklärte Haussmann. Die betroffenen Beschäftigten müßten schnell auf zukunftsorientierte Arbeitsplätze umgeschult werden. Je schneller die Stillegungen erfolgten, desto mehr könnten die sanierungsfähigen Betriebe unterstützt werden. Für die Altschulden der Betriebe bekräftigte Haussmann seinen Vorschlag eines maximal auf ein Jahr begrenzten Schuldenmoratoriums. Eine pauschale Entschuldung der Betriebe lehnt Haussmann nach wie vor ab.

Unterschiedliche Strategien gegen die Wirtschaftsmisere der DDR haben der SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine und der baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth vorgeschlagen. Lafontaine forderte in einem Interview ein „klassisches staatliches Nachfrageprogramm in zweistelliger Milliardenhöhe“ für den Ausbau von Straßen, Telefonnetz, Energieversorgung und Wohnungsbau in der DDR. „Nach der überstürzten Einführung der D-Mark zum Kurs eins zu eins muß schnell etwas geschehen, wenn wir nicht weiter sinnlos Milliarden in ein Faß ohne Boden pumpen wollen“, meinte der Kanzlerkandidat. Auch der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden, Konrad Carl, forderte am Wochenende ein mittelfristig angelegtes 30 -Milliarden-Zukunftsinvestitionsprogramm.

Baden-Württembergs Späth forderte dagegen einen 30prozentigen Steuernachlaß für bundesdeutsche Unternehmer, die noch in diesem Jahr in der DDR investieren. „Wir müssen drüben die Arbeitslosen von der Straße wegbringen und Dynamik schaffen“, meinte er - wobei ihm für die Arbeitslosen die ökonomisch vermittelte Zwangsarbeit, für die wirtschaftliche Dynamik der steuerbegünstige Extraprofit einfällt. Heftige Kritik übte Späth an seinem bayerischen Amtskollegen Max Streibl, der den Geldhahn für Ost-Berlin ganz zudrehen will. Späth: „Dann drehen die drüben durch.“

Als erster dreht möglicherweise Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) durch. Denn „wenn die Zahl der Arbeitslosen einschließlich der Kurzarbeiter in der DDR eine Million höher steigt“, so Blüm zu 'Bild am Sonntag‘, „kostet das zusätzlich weitere sechs bis sieben Milliarden Mark“.

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