„Mit der Last der Geschichte leben“

■ Beratungsstelle für jüdische Emigranten im Ex-Nazi-Propagandaministerium feierlich eröffnet

Ost-Berlin. „Merk-würdig“, nannte die DDR -Ausländerbeauftragte Almuth Berger die gestrige feierliche Eröffnung einer Beratungsstelle für jüdische Emigranten in der Ostberliner Otto-Grotewohl-Straße 19d: „würdig, zu merken, würdig, bemerkt zu werden“.

In der Tat. Zum einen ist es alles andere als selbstverständlich, daß sowjetische Juden vor den antisemitischen Verfolgungen in ihrer Heimat ausgerechnet in das Land des Holocaust fliehen. „Sie wissen um das Belastete, das aus der Vergangenheit in die Gegenwart hineinwirkt“, formulierte Frau Berger vor den zahlreich erschienenen Gästen, „aber sie geben uns jetzt eine Chance, unser Zusammenleben ein Stück reicher werden zu lassen.“ Zum anderen hat die DDR-Staatssekretärin und -Ausländerbeauftragte die ihr unterstehende Beratungsstelle ganz bewußt im ehemaligen Propagandaministerium der Nazis angesiedelt. „Das könnte als Zumutung und Taktlosigkeit gelten“, meinte sie, aber es sei als Versuch zu werten, „gemeinsam mit dieser Geschichte zu leben“.

Ein Blick nach draußen zeigte den Anwesenden, daß solch eine Haltung im SED-Staat alles andere als erwünscht war. Im Gegenteil: Die Ausradierung fast sämtlicher Symbole des SS -Staates in diesem früheren Regierungsviertel sollte den angeblich totalen Bruch des SED-Staates mit der deutschen Vergangenheit markieren. Stadtarchivar Dr.Schmidt breitete ein wenig von der fatalen Geschichte des Gebäudes an der ehemaligen Wilhelmstraße aus.

Anfang des 19.Jahrhunderts brachte der preußische Prinz Karl hier seine riesige Waffensammlung unter, ab 1918 residierte dort das preußische Finanzministerium und ab 1933 der oberste Volksverhetzer Joseph Goebbels. Der Zweite Weltkrieg ließ von dem Prunkpalais nur die von den Nazis angebauten Gebäudeteile übrig, in die später der Nationalrat der „Nationalen Front“ einzog.

„Es ist sicherlich für Juden nicht leicht, in dieses Haus hineinzugehen“, gab auch Mario Offenberg von der jüdischen Gemeinde Adass Jisroel in seiner Ansprache zu bedenken. Aber es gebe in Berlin „keine Straße und keinen Platz, wo nicht Verbrechen an Juden begangen wurden. Man müßte also die gesamte Stadt ächten“. Im Namen seiner Gemeinde hoffte Offenberg darauf, daß das nunmehr täglich geöffnete Büro den Deutschen „keine Verantwortung abnimmt“, sondern Hilfe koordiniert - für Verfolgte, die hier ohne Sprachkenntnisse, ohne Arbeit, ohne Wohnung dastehen.

Eine Geigerin und ein Gitarrist begleiteten die merk -würdige Eröffnung mit dem schmelzenden Klang jiddischer Musik. „Ich hoffe“, so der Vertreter des Sprecherrats der sowjetischen Juden, „die Stimme der Geige wird die Art unserer Beziehungen bestimmen“.

Ute Scheub