Öffentlicher Dienst streikt

■ ÖTV ruft Ostberliner Beschäftigte zu einstündigem Warnstreik auf / Busse und Bahnen stehen still / Folgen der Aktion spüren auch Westberliner

Berlin. Fahrradfahren ist angesagt. Wenn ein Großteil der Beschäftigten im Ostberliner öffentlichen Dienst dem Aufruf der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, Transport und Verkehr (ÖTV) folgt und heute zwischen 11 und 12 Uhr die Arbeit niederlegt, zeigt sich das vermutlich nirgends so deutlich wie im öffentlichen Nahverkehr: Während im Ostteil der Stadt in diesem Zeitraum alle Busse und Bahnen stillstehen, schwappen die Ausläufer des Warnstreiks auch nach West-Berlin über. Nach Auskunft des Gewerkschaftsrates der Ostberliner Verkehrsbetriebe (BVB) fahren die U -Bahnlinien 6 und 8 in dieser Zeit nicht durch den Osten, ein Pendelverkehr befördert die Fahrgäste weiterhin durch den Westteil der Stadt. Der mit Fahrzeugen der BVB eingerichtete Schienenersatzverkehr der U-Bahnlinie 1 wird zwar durch Busse der Westberliner Verkehrsbetriebe (BVG) ersetzt, hier dürfte es jedoch zu erheblichen Zeitverzögerungen kommen. Die Buslinien Pankow OsloerStraße, UnterdenLinden-Kurfürstenstraße und SchlesischesTor-Treptow verkehren während des Warnstreiks genauso wenig wie der Bus zwischen Tegel und Schönefeld. Die Westberliner Beschäftigten beteiligen sich zwar nicht an dem Streik, können ohne ihre Ost-Kollegen den vorgesehenen Fahrplan aber nicht einhalten. Mit Arbeitsniederlegungen rechnet die ÖTV, nach eigenen Angaben mit 33.000 Mitgliedern eine der größten Gewerkschaften Ost-Berlins, auch in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes wie Justiz, Feuerwehr, Wasserversorgung, Stadtwirtschaft, Verwaltungen, Theater und Gesundheitswesen. „Es wird natürlich überall Notdienste geben“, beruhigt Pressesprecherin Martina Sönnichsen. Mit der kurzfristigen Arbeitsniederlegung wollen die Beschäftigten erreichen, daß die Arbeitgeber bis zur 3. Tarifverhandlungsrunde am 3.September ein „einigungsfähiges“ Angebot unterbreiten. In der Ostberliner Innenverwaltung zeigte man sich gestern „verblüfft“ über den geplanten Warnstreik. Die berechtigten Forderungen nach Arbeitsplatzgarantie einerseits und höheren Löhnen andererseits seien, so hieß es dort, unter den derzeitigen finanziellen Rahmenbedingungen nicht unter einen Hut bringen: „Von Massenentlassungen kann nur solange abgesehen werden, wie der uns zustehende Lohnfonds ausreicht.“ Deshalb könne es auch nur zu Tarifabschlüssen kommen, „wenn der Bundesfinanzminister zuschießt“. Bis zur schrittweisen Übernahme des bundesdeutschen Tarifwerks müßten die Beschäftigten hinnehmen, daß sie meist nur ein Drittel der Gehälter ihrer West-Kollegen verdienen. Im übrigen ging der Sprecher davon aus, daß sich zwar die meisten Betriebe, jedoch wenige VerwaltungsmitarbeiterInnen an dem Warnstreik beteiligen, da diese sich mehr vor Arbeitsplatzverlust fürchten.

Zu einer zentralen Kundgebung treffen sich die warnstreikenden Beschäftigten heute um 11 Uhr vor dem Amt des Ministerpräsidenten hinter dem Roten Rathaus. In der folgenden Stunde kocht Ost-Berlins öffentlicher Dienst auf Sparflamme. Geschäfte wittern in dieser Zeit allenfalls die TaxifahrerInnen. Pascal Friton, Geschäftsführer der Westberliner Taxivereinigung: „Die Wagen werden weggehen wie warme Semmeln.“

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