DIE HEFE DES DENKENS

■ Neuronale Drogenverherrlichung: Das Gehirn sgt ja zum Haschisch

VON MATHIAS BRÖCKERS

Das menschliche Gehirn verfügt über einen speziellen Cannabis-Rezeptor. Cannabinole - die psychoaktiven Wirkstoffe der Hanfpflanze - werden von diesem Rezeptor gebunden, der dann die biochemischen Vorgänge auslöst, die zu den charakteristischen Wirkungen der Pflanze führen. Lisa Matsuda, Molekularbiologin am National Institute of Health (NIH) in Washington, hat den Rezeptor entdeckt und konnte zeigen, daß er in den Membranen der Gehirnzellen lokalisiert ist. In der jüngsten Ausgabe von 'Nature‘ (Nr. 346, S. 561 ff) sind die Forschungsergebnisse veröffentlicht, denen, so Lisa Matsuda, „noch viel Arbeit“ folgen muß. Was die Forscher in dem von Tom Bonner geleiteten Labor vor allem verdutzt, ist die Tatsache, daß die Natur den Menschen mit einem speziellen Rezeptor ausgestattet haben soll, nur um ihn zum Rauchen von Marihuana zu verlocken. Zwar zählt der ursprünglich in Zentralasien beheimatete Hanf (Cannabis sativa) zu den ältesten Kulturpflanzen der Menschheit, das Gen allerdings, das für die Ausbildung des Cannabis -Rezeptors zuständig ist, scheint sehr viel älter zu sein. Tom Bonner hat Anzeichen dafür entdeckt, daß es sogar schon in evolutionären Frühformen des Lebens wie der Fruchtfliege Drosophila existiert: „Wenn dieses Gen durch die gesamte Evolution konserviert wurde, dann muß sein Produkt (der Rezeptor) eine wichtige Funktion haben.“ Die fundamentale biologische Funktion der umherschweifenden Haschhirnzellen vermuten die Forscher in der Eigenschaft des Gehirns, den öffentlichen Drogenkrieg höchst eigenmächtig zu sabotieren: „Der am meisten einleuchtende Grund für die Existenz eines 'cannabinoiden‘ Rezeptors ist“, faßt der 'New Scienstist‘ (11.8.90) die Ergebnisse zusammen, „daß das Gehirn einfach eine cannabisähnliche Chemikalie herstellt, die als Botenstoff zwischen den Zellen agiert, indem sie den Rezeptor aktiviert. Dies würde bedeuten, daß der Rezeptor unter bestimmten Umständen einige der Effekte hervorruft, die Marihuana-Raucher schätzen.“

Als Mitte der 80er Jahre der Nestor der bundesdeutschen Cannabis-Selbsterforschung, Wolfgang Neuss, in einem seiner taz-Beiträge den Hanf als „Die Hefe des Denkens“ definierte, mochte das die Mehrheit der Leser noch als feuilletonistischen Gag abtun. Nach den experimentell bestätigten Ergebnissen des Washingtoner NIH allerdings scheint Neuss der harten Wissenschaft wieder mal um einige Jahre vorausgeblickt zu haben. „Die Funktion dieses Systems“, schreibt die Entdeckerin Lisa Matsuda, „könnte darin bestehen, daß es den Input dämpft und dem Gehirn so erlaubt, bestimmte Erinnerungsprozesse in Gang zu setzen.“ Cannabis also als eine Art „expanded memory“ des menschlichen Bio-Computers? Auch wenn die Molekularbiologin mit Schlußfolgerungen „vorsichtig“ bleiben will, ein Blick in die (vergessene) Geschichte des Hanfs (vgl. taz v. 1.9.87) spricht für sich. Im ältesten Arzneibuch der Menschheit, dem 2700 v. Chr. entstandenen chinesischen Pen Tsao, wird Hanf, wie auch bei den Babyloniern, Indern und vielen anderen Völkern, nicht nur als Heilmittel für zahlreiche Krankheiten empfohlen, sondern als „göttliches Kraut“, das „den Geist für eine Zeit reisen läßt“: „Nimmt man sie (die Blüten der Pflanze) über längere Zeit hinweg, wird man befähigt, mit den Geistern zu sprechen, und der Körper wird leicht.“ Es scheint, als hätten die Ärzte vor 5.000 Jahren schon gewußt, was die Neuro-Wissenschaftler unserer Tage jetzt wieder entdeckt haben: daß Hanf „den Input dämpft und dem Gehirn erlaubt, bestimmte Erinnerungsprozesse in Gang zu setzen“.

Die Existenz eines speziellen Cannabis-Rezeptors in unseren grauen Zellen hat aber nicht ausschließlich mit der erweiterten Memory-Funktion der Pflanze zu tun. Hätten amerikanische Biologen ihn hundert Jahre vorher entdeckt, wären sie wahrscheinlich längst nicht so überrascht gewesen: Bis Ende des 19. Jahrhunderts wurde Cannabis als Universalmedizin in der ganzen Welt verwendet. 1855 schätzt Dr. James F. Johnson in Die Chemie des täglichen Lebens die Zahl der Hanfkonsumenten weltweit auf 200 bis 300 Millionen, zwischen 1840 und 1890 waren Cannabis-Extrakte das am zweithäufigsten verordnete Arzneimittel der USA, im Hamburger Freihafen wurden 1885 allein im Monat September 3.000 Doppelzentner indisches Haschisch gelöscht. Die Ärzte verordneten Hanf gegen Krämpfe aller Art, Husten, Asthma, Migräne, Appetitlosigkeit, Schlafstörungen, als „leichtes Opium“ und Ersatzstoff für Morphin. Erst um 1900 wurde der spottbillige Medizinal-Hanf als Naturheilmittel von synthetischen Präparaten verdrängt, unter anderem von einem Bestseller, den die deutsche Chemiefirma Bayer als „garantiert nicht süchtig machend“ auf den Markt brachte: Heroin. Mit diesem wanderte das seit Urzeiten heilige Überlebensmittel (der Hanfsame enthält die acht essentiellen Aminosäuren, wird in der Liste der gehaltreichsten Früchte nur von der Sojabohne (ein Protein mehr) übertroffen, läßt sich aber - LPG-Leiter aufgepaßt! - um 80 Prozent billiger herstellen) auf den Index der verbotenen Drogen. Die Wiederentdeckung des Hanfs in den 60er Jahren hat auch die medizinische Forschung wieder aufleben lassen: Dr. Mechoulamn von der Universität Tel Aviv, der den Cannabis -Wirkstoff „THC-Delta 9“ als erster isolierte, kam nach 20 Jahren Forschung zu dem Schluß, daß legales Marihuana 10 bis 20 Prozent aller verschriebenen Medikamente ersetzen könne, Dr. Tashkin von der University of California faßte 14 Jahre Hanfforschung so zusammen: „Gras ist das Beste gegen Streß, Migräne, Depression, Appetitlosigkeit.“ - Der Psychologe Nietzsche hat es (in Ecce homo) so ausgedrückt: „Wer von einem unerträglichen Druck loskommen will, der hat Haschisch nötig...“

Drogen haben mehr Macht über unser Hirn als den Mächtigen recht sein kann: die 100 Milliarden Zellen unterhalten nicht nur ihre eigenen Drogenlabors, sondern auch eine Unzahl von Konsumenten, die an jeder Neuronen-Ecke nach Stoff lauern. Ende der 70er Jahre wurden die Endorphine entdeckt, opiumähnliche Neurotransmitter, die so etwas wie das körpereigene Belohnungssystem darstellen. Mit diesem Botenstoff werden Schmerzen gelindert und Lustgefühle ausgelöst. Um die Rolle der auf Hanf lauernden Nervenmembranen zu entschlüsseln, scheint es unfruchtbar, weiter in den Molekülen der humanen Hardware rumzustochern, bevor nicht ein Blick in die alten Medizinbücher die Augen geöffnet hat. Es sei denn, man sucht beschleunigt nach dem Schalter, mit dem wir ohne Mühe und lästigen Konsum die n a t ü r l i c h e n Paradiese zuschalten können. NEURONALE DROGENVERHERRLICHUNG: DAS GEHIRN SAGT JA ZUM HASCHISCH