Ein Mephisto macht keinen Sommer

■ Schachcomputer kann beim „Berliner Sommer“ trotz guter Kondition nicht mithalten / Die Zukunft des Turnieres ist gefährdet / Sowjetische Spieler dominierten

Berlin (taz) - Vor sieben Jahren war Berlins (Provinz -)Hotellerie noch begeisterungsfähig. Ein großes Schachturnier im Rahmen des Kommerzspektakels „American Summer“ half das Sommerloch stopfen. Das Lieblingskind des Berliner Schachverbandes wird inzwischen „Berliner Sommer“ gerufen und hat sich prächtig entwickelt. Berlin darf auf das größte offene Schachturnier der Welt, das in einer Gruppe gespielt wird, stolz sein.

Auch eine Hauptstadt sollte ihre Superlative pflegen, ein Berliner Sommer eine Nummer kleiner sei mit ihm nicht zu machen, sagt Alfred Seppelt, Präsident des veranstaltenden (West-)Berliner Schachverbandes. Aber im Hauptstadtfieber konnte Seppelt bisher noch keinen Veranstaltungsort für 1991 ausfindig machen. Die Hotellerie hat bereits vergessen, wie Sommerloch buchstabiert wird, andere große Säle - fast 300 Schachbretter sind unterzubringen - sind zu teuer oder längst ausgebucht.

Aber Schach ist ja ein umweltfreundlicher Sport, und der Berliner Sommer ist seit sieben Jahren Treffpunkt von Großmeistern und Feierabendspielern, von Schachfreunden aus Ost und West. Das sei auf Senatslinie, meint AL -Staatssekretär Hans-Jürgen Kuhn, und sagte die Hilfe des Senats bei der Suche nach einem Austragungsort zu. Mompers Zwilling Tino Schwierzina hat bei der Turniereröffnung auch Ostberliner Unterstützung signalisiert. Berlins Vereine sind sich jedoch nicht sicher, ob sie den Erhalt des Sommers wünschen sollen. Organisatorisch völlig von seinem Prestigeobjekt vereinnahmt, vernachlässigt ihr Landesverband die meisten anderen Aufgaben.

Neun Tage dauert ein Schachsommer in Berlin. Am Sonntag endete im Hotel Interconti der diesjährige mit einem warmen Regen von 65.000 DM Preisgeld für die ersten Fünfzig. Stolze 10.000 Mark für den Sieg kassierte Wereslaw Eingorn aus der UdSSR. Der 33jährige Großmeister hatte den Grundstein für seinen Sieg bereits in der siebten Runde gelegt, als er den Ungarn Attila Groszpeter in 21 Zügen besiegte. Mächtiges Gedränge gab es auf dem zweiten Platz. Mit je 7,0 Punkten tummelten sich hier sage und schreibe 15 Schachfreunde, darunter acht aus der Sowjetunion.

Seit die sowjetischen Meister reisen dürfen, schnappen sie sich die dicken Brocken bei Turnieren in ganz Europa. Zu Hause sind sie durch Trainerjobs abgesichert, aber bei irrealen Schwarzmarktpreisen sind die Geldprämien mehr als ein kleines Zubrot, auch wenn sie versteuert werden müssen (denn das Finanzamt liest die Turnierstände in den Schachzeitungen).

Ein gutes Dutzend sowjetischer Spieler reiste unangemeldet in Berlin an, aber die Veranstalter blieben hart, ließen sie weder zum Turnier zu noch ihre mitgebrachten Schachbücher, -uhren und -bretter verkaufen. Das Interconti sei kein Flohmarkt, hieß es.

Wahrscheinlicher ist, daß Seppelts eigener Bücherstand die billigere Konkurrenz fürchtet. Ob sie in Berlin nun offiziell gehandelt werden oder nicht, die sowjetischen Verkaufsschlager sind in der Heimat seit der Reisefreiheit nur noch unter dem Ladentisch erhältlich.

Zwar wird Seriosität beim „Sommer“ großgeschrieben, andererseits fehlen zugkräftige Stars. In Berlin müssen auch Spitzenleute ohne Handgeld auskommen, und die Veranstalter übernehmen nur Doppelzimmerunterkünfte und Verpflegung. Wer im Westen gut von Schach leben will, stellt höhere Ansprüche. Pflegeleichter sind die sowjetischen Großmeister. In erster Linie reiselustig, gelten sie etwa in der Bundesliga längst als Preisverderber.

Noch anspruchsloser ist jedoch der wahre Star des Turniers. Unter den 548 Teilnehmern - natürlich Rekord - befand sich auch der Schachcomputer Mephisto. Der Weltmeister unter den Elektronenhirnen durfte dabeisein, weil sein Hersteller wie bei den meisten Großveranstaltungen in Deutschland auch in Berlin zu den Sponsoren gehört.

Der drahtige Schachfreund erwies sich anfangs als sehr konditionsstark - fünf Stunden Spielzeit genügten Mephisto meist nicht, und er schleppte gleich mehrere Hängepartien mit sich herum -, machte in der zweiten Turnierhälfte jedoch unerklärlicherweise schlapp. Ausgiebige Überprüfungen der Stromversorgung ergaben jedoch, daß es daran nicht lag. Trotzdem spielte Mephisto immer schlechter und hatte Glück, daß ihm ein Auftauchen im offiziellen Endklassement erspart blieb. Der Cyber-Kasparow startete außer Konkurrenz.

Messelwitz