„Wohl dem, der schon eine Wohnung hat“

■ In Frankfurt drohen die Mieten ins Uferlose zu steigen / Wohnraumzweckentfremdung, künstliche Verknappung und Mietwucher haben die Situation eskalieren lassen / Steigender Pendelverkehr ist die Folge

Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt a.M. (taz) - Ein Verzweifelter hatte im Stadtteil Bockenheim eine riesige Werbetafel angemietet und darauf seine Wohnungsnot öffentlich gemacht: „Zahle tausend Mark Belohnung für die erfolgreiche Vermittlung einer Zweizimmerwohnung“. Studentinnen ließen sich ihren Wunsch nach einem „Zimmer in Uninähe“ auf weiße T-Shirts drucken. Und am Rundschauhaus am Eschenheimer Turm warten täglich Hunderte von Wohnungssuchenden auf die Abendausgabe der Lokalzeitung, um anschließend die Telefonhäuschen der Umgebung mit dem Ziel zu okkupieren, der erste Anrufer beim Vermieter einer Wohnung zu sein, denn: nur einer kann gewinnen beim täglichen Kampf um Hütten und Paläste.

Daß in Frankfurt Wohnraum knapp ist, ist kein Geheimnis. Und wenn eine „Ware“ knapp ist, steigt auch im Musterland der sozialen Marktwirtschaft ihr Preis. Für eine Dreizimmerwohnung, etwa im Westend oder in Citylage, muß der Metropolenmensch gut 2.000 DM „kalt“ monatlich auf den Tisch legen. Aber auch in den beliebten Szenevierteln rund um den Innenstadtbereich steigen die Mieten kontinuierlich an. Ein Tausender „kalt“ muß schon hingeblättert werden für knappe siebzig Quadratmeter Altbauwohnraum in Nordend oder in Bornheim. Es ist offenbar noch immer etwas teuer, einen besonderen Geschmack zu haben - und wer will schon an der Peripherie der Stadt, etwa in Bonames oder in Niedereschbach wohnen?

Dabei liegen gerade im Stadtteil Bonames die Durchschnittsmieten weit unter dem Stadtniveau, weiß der Statistiker Wullkopf vom Institut für Wohnen und Umwelt (IWU) in Darmstadt zu berichten. Preiswert könnte man wohnen im Norden von Frankfurt - doch freie Wohnungen gibt es dort nicht. In den eher dörflich strukturierten Vorstädten werden nämlich weit seltener Wohnungen frei als in der Stadt selbst. Und damit beißt sich die Katze wieder in den Schwanz: Dort, wo Wohnungen ab und an freiwerden, sind sie für Durchschnittsverdiener kaum erschwinglich: „Nur für Yuppies“ (Wullkopf). Und dort, wo es noch preiswerten Wohnraum gibt, werden keine Wohnungen frei.

Der Mietspiegelspezialist Wullkopf unterscheidet bei den Mietpreissteigerungen der letzten Jahre zwischen Wiedervermietungsmieten und Bestandsmieten. Wenn eine freigewordene Wohnung wieder neu vermietet wird, langen die Vermieter nämlich kräftig zu. Dagegen hielten sich Mieterhöhungen für Dauermieter - „rein statistisch gesehen“

-in vertretbaren Grenzen, meint Wullkopf. Generell seien die Mieten in Hessen im vergangenen Jahr im Vergleich zum Vorjahr um sechs Prozent auf etwa 14 DM pro Quadratmeter Wohnfläche angestiegen. Noch 1985 lag der Quadratmeterpreis bei neuvermietetem Wohnraum mit gutem Wohnwert bei knapp elf Mark. Von einer „Explosion“ der Mieten könne in Frankfurt und in ganz Hessen dennoch erst seit Anfang 1990 gesprochen werden, denn seit Jahresbeginn würden sich die Mieten im Vergleich mit dem Anstieg der allgemeinen Lebenshaltungskosten überproportional entwickeln.

Das Zauberwort für die Immobilienhaie der Großstadt heißt „künstliche Verknappung“. Beziehbarer Wohnraum steht aus Spekulationsgründen leer und sorgt somit für die Anhebung des Preisniveaus. In München und Frankfurt haben die Magistralen deshalb „im Interesse der wohnungssuchenden Menschen“ bereits reagiert: Leerstehende Wohnungen werden nach Ablauf einer Mahnfrist - zwangsweise auf Anweisung der Wohnungsämter belegt. Und die Spekulanten müssen mit Strafanzeigen rechnen.

In den zehn hessischen Großstädten, für die das IWU die Mietpreisspiegel erstellt, lasse sich zudem eine weitere besorgniserregende Tendenz feststellen: das Problem des zweckentfremdeten Wohnraums. Arzt- und Rechtsanwaltspraxen, Steuerbüros und Werbeagenturen in renovierten Altbauwohnungen in besten Lagen würden das „Wirtschaftsgut Mietwohnraum“ weiter verknappen. Bei einer Begehung des Westends in Frankfurt stellte das Wohnungsamt denn auch fest, daß etwa 20 Prozent der bestehenden Wohnungen als Gewerberäume genutzt werden - Tendenz steigend, denn Büroraum ist gleichfalls knapp in der Dienstleistungsmetropole am Main. Statistisch noch nicht erfaßt ist dagegen das ganze Ausmaß der Umwandlung von Miet in Eigentumswohnungen. „Ein paar tausend Wohnungen werden das allein in Frankfurt schon sein“, meinte Wullkopf, der darauf verweist, daß das Bundesbauministerium hier einen Forschungsauftrag vergeben habe und harte Zahlen frühestens im nächsten Jahr vorliegen würden: „Wohl dem, der eine Wohnung hat.“ (Wullkopf)

Von der Bundestagsfraktion der FDP wurde das IWU übrigens zu einer Anhörung für den 10.September nach Bonn geladen gut drei Wochen nach der gestrigen Koalitionsrunde zum Mietrecht, bei der die Spielräume für Mieterhöhungen neu verhandelt wurden. Ob diese Expertenanhörung im Nachgang zu einer möglichen Entscheidung in Bonn dann noch Sinn macht, fragen sich zur Zeit nicht nur die MitarbeiterInnen des renommierten Instituts in Darmstadt. Auch beim Deutschen Mieterbund reagierte man „sauer“ auf die Terminplanung der FDP, die sich bei den Mietern der Republik ohnehin „mehr als unbeliebt“ gemacht habe. Tatsächlich blockt die Partei der Haus- und Grundbesitzer in der Koalition einen Vorstoß der bayerischen CSU ab, der darauf abzielt, in den Ballungsgebieten die Obergrenzen für Mieterhöhungen drastisch zu senken. Zur Zeit können Vermieter die Mieten innerhalb von drei Jahren um 30 Prozent erhöhen - zehn Prozent jährlich oder 30 Prozent auf einen Schlag. Die Union will diese Obergrenze auf 15 Prozent drücken; ein Vorschlag, der auch die Zustimmung der oppositionellen SPD findet.

Die Explosion der Mieten in Kombination mit der anhaltenden Knappheit auf dem freien Wohnungsmarkt und auch bei den Sozialwohnungen hat zum einen dazu geführt, daß immer mehr Haushalte mehr als die Hälfte ihres Monatseinkommens zur Finanzierung ihrer Wohnungen aufwenden müssen und ein Wohnungswechsel zum existentiellen Problem wird - bei all denen, die noch in der Lage sind, Wohnungen auf dem freien Wohnungsmarkt zu bezahlen. Zum anderen steigt die Zahl der Obdachlosen kontinuierlich an, weil auch die Sozialwohnungsmieten - wenn auch unterproportional angestiegen und selbst die Einfachstwohnungen in den Kommunen „voll ausgebucht“ sind. Rund 600.000 Menschen ohne eigenes Dach über dem Kopf zählte die Obdachlosenhilfe des Diakonischen Werkes Mitte Juni dieses Jahres. Auf den Wohnungsämtern der Städte und Gemeinden stapeln sich die Anträge auf Vergabe von Sozialwohnungen, auch an den Rändern der Ballungsgebiete. So suchen etwa in der kleinen Gemeinde Bischofsheim - zwischen Frankfurt und Rüsselsheim - rund 400 Familien eine Sozialwohnung. Frei werden dagegen monatlich nur etwa vier bis fünf Wohnungen - und zusätzliche Baugebiete will man in Bischofsheim aus ökologischen Gründen nicht ausweisen.

So werden die Pendlerzahlen weiter steigen. Schon heute kommen mehr Arbeitskräfte von außerhalb nach Frankfurt, als die Stadt Einwohner hat. In den Einzugsgebieten rund um Frankfurt ist eine Wohnung zwar weitaus billiger zu haben als in den Ballungsgebieten, doch die Menschen sind stundenlang unterwegs, um ihren Arbeitsplatz zu erreichen und die Stadt Frankfurt erstickt im Pendlerverkehr. In ihren Koalitionsvereinbarungen haben SPD und Grüne in Frankfurt denn auch umfangreiche Maßnahmen gegen Wohnungsknappheit und Mietwucher festgeschrieben. So soll der Wohnungsneubau forciert und ein „Leitplan Bestandsschutz“ zur Sicherung preiswerten Wohnraums in Frankfurt erarbeitet werden. Doch die Erschließung von Freiflächen für den Wohnungsbau - oder die Nutzungsumwandlung bereits bebauter Flächen - erfordert von der Koalitionsregierung geradezu revolutionäre Geduld und Zähigkeit. So droht das erste wohnungsbaupolitische Großprojekt von Planungsdezernent Wentz (SPD) am Widerstand von BürgerInnen und Sozialdemokraten zunächst zu scheitern. Die Verlagerung des Schlachthofes von Sachsenhausen nach Niedereschbach, mit der in Sachsenhausen und auf der gegenüberliegenden Mainseite Raum für die Stadtgestaltungsidee „Wohnen am Fluß“ geschaffen werden soll, wird sich deshalb mit Sicherheit nicht in dem von der Koalition prognostizierten Zeitrahmen umsetzen lassen. Und ob demnächst Teile der US-amerikanischen Streitkräfte aus Frankfurt abziehen und so Flächen für den Wohnungsbau hinterlassen werden, steht gleichfalls noch in den „stars and stripes“. Deshalb werden die Wohnungssuchenden in der Mainmetropole zunächst weiter damit leben müssen, daß der Wohnraum knapp und die Mieten hoch sind. Daß der Mietzins nicht ins Uferlose steigt und die Mieter vor Immobilienhaien und Wohnungsspekulanten geschützt werden, dafür hat jetzt der Gesetzgeber zu sorgen. Doch die FDP liegt nach wie vor quer. Ihr Wohnungsbau- und Finanzexperte Hans Gattermann erklärte in der vergangenen Woche zu der Unionsforderung auf Senkung der Mietsteigerungs-Obergrenze, daß es einen „so scharfen Eingriff“ in die freie Marktwirtschaft „in der Nachkriegsgeschichte bislang nicht gegeben“ habe.