„Sichern, was wir gefunden haben“

Geschichtsgruppen erforschten das Schicksal Waller Juden im Faschismus / Gespräch mit Rosie Kühne über FreizeithistorikerInnen  ■  hierhin bitte

das rundliche

Frauen-Gesicht

Rosie Kühne

Rosie Kühne hat als ABM-Kraft die Ergebnisse der Waller FreizeitforscherInnen koordiniert. Zusammen mit Cecilie Eckler-von-Gleich ist sie Autorin der Steintor-Broschüre „Juden in Walle.

taz:Welche Menschen arbeiten in den Waller Geschichtsarbeitskreisen mit?

Rosie Kühne: In der Immanuel-Gemeinde geht die Initiative für eine Geschichtsgruppe von Pastor Scherrer aus. Das hat unter anderem damit zu tun, daß die Gemeinde im Faschismus der Bekennenden Kirche angehörte. Von denen kamen etliche ältere bis mittelalte Gemeindemitglieder zur Stadtteilgeschichtsgruppe. Die existiert schon seit zehn Jahren und besteht ebenfalls aus überwiegend älteren WallerInnen, die den Faschismus noch erlebt haben.

Wie groß ist diese Gruppe?

Ungefähr acht Leute, die konstant mitarbeiten.

Haben Sie gezielt auf dieses Buchprojekt hingearbeitet?

Ja, wir haben erst auf die Ausstellung zugearbeitet, und nachdem die so einen großen Erfolg hatte, haben wir uns das Buch vorge

nommen. Das Thema ist in der Art noch nicht in Bremen aufgearbeitet worden.

Sie beginnen die Broschüre „Juden in Walle“ mit einer didaktischen Erklärung („Aus der Geschichte lernen?“). Waren nicht gerade die FreizeithistorikerInnen mit dem Anspruch angetreten, ohne pädagogischen Zeigefinger auskommen zu können und über Inhalte Interesse zu wecken?

Das Vorwort ist entstanden, um einen Hinweis zu geben, warum wir gerade so gearbeitet haben. Wenn Sie das pädagogisch finden, kann ich das jetzt erst einmal nur zur Kenntnis nehmen.

Viele Fragen werden meiner Meinung nach in dem Buch nicht gestellt, drängen sich aber geradezu auf. Warum berichtet beispielsweise die Mitschülerin der jüdischen Schülerin Grete Jacobsen nicht darüber, wie es diesem Mädchen in ihrer Klasse ergangen ist?

Daß es in der Broschüre nicht steht, heißt nicht, daß wir die Fragen nicht gestellt haben. Wir haben die Antworten nicht bekommen.

Wie haben Sie denn die Kontakte zu Ihren Gesprächspersonen hergestellt?

Unsere wichtigste Quelle war das Buch von Regina Bruss „Die Bremer Juden unter dem Nationalsozialismus“. Dann waren Pastor Scherrers persönliche Kontakte sehr wichtig. Drittens haben wir auch Zeitungsaufrufe gestartet, auf die wir einige Resonanz erhalten haben. Die Klassenkameradin des jüdischen Mädchens, von dem wir im Buch berichten, ist nach der Ausstellung zu uns gekommen.

Warum hat Sie denn nicht erzählt, wie Grete Jacobsen in ihrer Klasse behandelt wurde? Die große Chronologie, die auch in Ihrem Buch einen zentralen Platz ein

nimmt, kann ich doch in jedem Geschichtsatlas nachblättern.

Wir sind auf eine Mauer des Vergessens und des Schweigens gestoßen. Diese Details, die haben wir einfach nicht herausbekommen. Die Menschen, die wir befragt haben, wollten sich daran

nicht mehr erinnern. Vielleicht fielen die jüdischen Schülerinnen ja gar nicht weiter auf.

Chronologie, Details und Erklärungen schwirren relativ ungeordnet durch die 40 Seiten Ihrer Broschüre. Da ist drei -, viermal von sogenannten „Judenhäu

sern“ die Rede, bevor auf Seite 30 endlich erklärt wird, was das eigentlich ist. Setzen Sie solche Kenntnisse voraus?

Nein. Wir haben schon Schwierigkeiten gehabt mit der chronologischen Zuordnung des Materials. Insgesamt ist das Buch aber so

übersichtlich, daß ich diesen Begriff „Judenhaus“ im Inhaltsverzeichnis nachschlagen kann. Sind Sie selbst zufrieden mit Ihrer Arbeit

Ich kann nur sagen: Wir haben nicht mehr herausbekommen, und das ist etwas, was die Gruppe zwischendurch auch sehr zermürbt hat. Die wollten zwischendurch schon aufgeben, weil sie das Gefühl hatten, sie kommen an nichts mehr heran. Aber wir wollten das Wenige sichern, was wir gefunden haben. Fragen: Markus Daschne