Szenewechsel: Werkhof auf neuen Wegen

■ Eine der ältesten, selbstverwalteten Autowerkstätten sucht einen neuen Kundenkreis

„Kann ich den in einer halben Stunde abholen?“ Der braungebrannte Eilige will mit seinem defekten Daimler samt intaktem Surfbrett noch schnell zum Unisee: „Weil gerade der Wind günstig ist. Könnt Ihr Euch das vorstellen: Drei Wochen Urlaub mit Surfbrett, und nicht einen Tag Wind gehabt?“

So richtig vorstellen können es sich die drei KFZ-Schlosser beim Werkhof in der Bremer Neustadt nicht. Gerhard Esser, Peter Scholz und Ingo Mohrmann haben derzeit nämlich andere Sorgen: Die frühere Stammkundschaft der selbstverwalteten Werkstatt bleibt langsam aus, neue Kunden finden nur schwer ihren Weg über die alternative Schwelle in der Hohentorsheerstraße. Klar, daß dem eiligen Surfer der Wunsch promt erfüllt wird, aber dennoch: „Unsere typischen Kunden, die Szeneleute, haben heute andere Autos, meist teurer und besser in Schuß. Und wenn damit was ist, fahren die in eine Vertragswerkstatt“, bedauert Peter Scholz den allmählichen Rückgang der potentiellen Stammkundschaft und das Aussterben der Klapper-R4s und Rostschleudern.

Und es gibt weitere Gründe

und damit eine ganze Palette von Autos, die wohl nie auf den Werkhof-Bühnen, die das Geld bedeuten, stehen werden. Erstens werden neue Autos prinzipiell von Vertragswerkstätten gewartet, inspiziert und repariert, weil sonst die Werksgarantie verfällt. Zweitens müssen alle geleasten Autos in Vertragswerkstätten verarztet werden. Drittens hat die Zahl der Reparatur-Schnelldienste kräftig zugenommen, die wegen hoher Stückzahlen im Einkauf und Spezialisierung preiswerter arbeiten können.

Gegen die Lockpreise der Fast-Frickel-Ketten können die Werkhofler kaum ankommen. Was nicht in das kleine Lager hineinpaßt oder über Standard hinausgeht, muß in teilweise langen Wegen eingekauft werden, bei Einzelstückzahlen für ausgefallene Modelle mit nur geringem Rabatt. Die drei Mechaniker versuchen das mit einem qualifizierten Reparaturdienst und einem individuellen Service auszugleichen: So wie der Surfer vom Unisee hat jeder Kunde im Werkhof einen Ansprechpartner, dem er seinen Autokummer beichten und so sein Aotofahrerherz erleichtern kann. „Wer Lust und Zeit hat, kann sich während der Reparaturen gerne

neben das Auto stellen. Wir versuchen dann immer, zu erklären, was wir da eigentlich gerade machen.“ Ingo Mohrmann hält das für den direktesten Weg, das Vertrauen des Kunden zu gewinnen.

Das ist sehr zeitaufwendig und deshalb betriebswirtschaftlich teuer, gehört aber zur Arbeitsethik der drei von der Wartungsstelle, die mit einem berechneten Stundenlohn von 55 Mark (bei Karosseriearbeiten 65 Mark) im unteren Preisniveau liegen. Um den Arbeitsaufwand etwas zu vereinfachen, kümmert sich seit neuestem ein „Organisator“ um die „Laufarbeiten“, während die anderen beiden unter den Autos liegen. „Dadurch können wir zügig durcharbeiten, ohne den Kontakt zu unseren Kunden zu verlieren“, hoffen die Werkhofler auf eine Effektivierung der Arbeitsprozesse, ohne sich gleichzeitig einem eintönigen Schraubtrott unterwerfen zu müssen.

Vor vier Jahren sprang der Werkhof ins kalte Wasser. Zur Gründung einer GmbH haben die insgesamt 11 MitarbeiterInnen aus der KFZ-Werkstatt, dem Fahradladen, der Hifi-Abteilung und dem Büro 50.000 Mark an Einlagen zusammengetragen. Von den 590.000 Mark Umsatz im letzten

Jahr erwirtschaftete die KFZ-Werkstatt nur noch 15 Prozent, während sie in den Anfangsjahren das Flaggschiff des Alternativbetriebes war. Für 160.000 Mark wurde in den letzten Monaten renoviert, eine neue Arbeitsbühne wurde installiert und mehr Platz geschaffen. Jetzt soll nicht nur die neue Absauganlage für frischen Wind in der Werkstatt sorgen.

Zu diesem Zweck wollen die Werkhofler die Hemmschwellen der „normalen“ AutofahrerInnen gegenüber einem selbstverwalteten Betrieb abbauen. „Hin und wieder kommen schon die Leute aus der Nachbarschaft, aber das muß mehr werden.“ Eine Anzeigenkampagne im Werbeblatt „Neustädter Echo“ soll unter anderem darüber aufklären, daß die Werkhofler ein Auto auf Herz und Nieren prüfen und reparieren können wie die Konkurrenz. „Viele neue Kunden kommen 'rein und fragen: Macht Ihr auch Kupplung? Macht ihr auch ASU? Macht Ihr auch Bremsen? Viele unterschätzen unsere Leistungen, dabei können wir hier sogar ungeregelte Katalysatorebn nachrüsten.“ Gerhard Esser kennt noch weitere Vorurteile, die jetzt dringend abgebaut werden müssen. Wegen der späten Öffnungszeiten

von 10.00 bis 18.00 Uhr haftet den Mechanikern noch immer der Ruch der immermüden Alternativschluffis an. Dabei bieten die späten Öffnungszeiten auch Service-Vorteile: „Bei uns können die Leute ihre Autos noch nach Feierabend abholen. Wir haben das in Anlehnung an die Fahrrad-Werkstatt gemacht, das erwies sich als ganz praktisch“, erklärt Peter Scholz die Vorteile.

Bis Weihnachten so hofen die Werkhofler soll die Werkstatt wieder auf Hochtouren laufen. Dabei setzen sie noch auf eine an

dere Karte: Durch den starken Verkauf von Gebrauchtwagen in der Preisklasse zwischen 2.000 und 5.000 Mark in die DDR wird in nächster Zukunft ein erhöhter Reparaturbedarf für ältere Autos entstehen. Gerd Esser: „Uns hilft die Öffnung der DDR-Grenze. Die Leute können sich jetzt kaum noch einen billigen Gebrauchten kaufen, sondern müssen ihren alten reparieren lassen.“ Das sollten sie möglichst im Werkhof tun lassen, wünschen sich die drei KFZler für die Zukunft viel Arbeit. Markus Daschne