Eine Art Horror

■ Dead-Chickens-Museum

Irgendwie war ich ja doch skeptisch. In einer Seitenstraße vom Kottbusser Damm, Schinkestraße Nummer 2, sollte es eine Ausstellung junger Künstler, genannt „Dead Chickens“, geben? Schließlich schießen Post-Post-Punk-, Punk- oder Neo-Neo -Punk-Gruppen wie Pilze aus dem Berliner Sumpfblütenboden. Und dann eine Kunstgruppe? What's that?

Nun, schließlich landete ich, mehr mitgezogen und hingeschoben, vor einem Haus beziehungsweise Keller, den ich im ersten Moment für einen typischen Berliner Kohlen -Weinkeller hielt. Nun gut, da wurde der Rezensent vorangestoßen durch „junges Gemüse“ und stolperte im ersten Raum fast über riesige Stoß- oder Reißzähne aus Styropor, die unbedingt von vorsintflutlichen Saurieern, Säbelzahntigern oder ähnlichem stammen mußten. Leicht verwirrt ließ sich Unterzeichnender an einem imposanten Metalltisch nieder, den, wie im Laufe des Abends zu erfahren war, einer der jungen Künstler angefertigt hat. Von da aus fiel der Blick auf eine weibliche Figur in einer Art Dschungel-Look-Dessous (Tarzans Reizwäsche, wie irgendeiner der jungen Heißsporne hinter mir be merkte).

Ich stand auf und inspizierte das Gewölbe nun doch interessierter und verlief mich in einen Gang mit drei Drachenköpfen, die ähnlich wie eine abgestellte Geisterbahnmechanik der Dinge harrten, die sich da bewegen sollten. Die Wände überall drapiert mit eben jenen sanften Horrorzeichnungen, von Leuten gemalt, vor denen uns unsere Eltern schon immer gewarnt haben. Nach dem Geisterbahnflur geriet ich wohl zu einer Art Ausschank, wo es eine Art Sekt für drei Mark gab. Kunst hat bekanntlich ihren Preis. Dieser Aufenthalt vor der Theke gab mir aber auch zum ersten Mal Gelegenheit, mit der Mechanik des Dargebotenen in Kontakt zu kommen. Berührte man einen Knopf oder Hebel von einem auf der Theke aufgebauten archaischen Drahtgeflechtvogel, fingen die Metallwesen an, mit ihren Flügeln zu schlagen und mit ihren Blechschnäbeln zu hacken. Zudem leuchteten die Augen bei einem dieser Minibestien auf. Ein Höhepunkt dann rechts in einer Nische. Ein Kasten, in dem verborgen die Zangen oder Scheren eines Metallviehs auf der Lauer lagen. Öffnet der Künstler die Tür des Kastens, kommt die Mechanik in Gang. Umflackert von einer bläulichen Gasflamme öffnen sich die Zangen des Monsters - leicht bedrohlich, erotisch - und schließen sich wieder. Mit leichtem Knall verlöscht der Spuk.

Mein Eindruck sanften Schauderns, ähnlich vielleicht wie ihn Kinder beim Anhören oder -sehen eines Märchens haben, wurde dadurch unterbrochen, daß immer mehr schöne junge Damen zusammen mit ihren Begleitern an die Theke kamen, um sich zu erfrischen. Angelockt wurde ich zudem von lauten Geräuschen aus dem Nebenraum, dort, wo die Drachenköpfe ihr Unwesen treiben mußten: Angetrieben von einer erweiterten Fahrradmechanik, hatten sich die Köpfe der Untiere in Bewegung gesetzt, schnappten mit ihren Zähnen nach imaginärer Beute und veranstalteten einen Mordslärm, sehr zum Entzücken ihrer Betrachter. Angesichts dieses Anblicks überkam mich doch die Vision einer Geisterbahn, die ich mir größer und eventuell befahrbar gewünscht hätte, meinetwegen im Tempodrom oder Lunapark zum allgemeinen Vergnügen. Es hätte mich auch nicht gewundert, wenn selbst die groß geratenen (zehn Zentimeter), metallgeschmiedeten Ameisen angefangen hätten loszurennen, um auf den Besuchern herumzukrabbeln. Ich hatte sie in einer Vitrine im vorderen Raum entdeckt.

An menschlicher Prominenz hatte ich außer den Damen und Herren der Kreuzberger End art nichts entdecken können. So blieb mit nach einem letzten Blick auf die Kreuzberger Schönen der Nacht die Erkenntnis: Es hatte sich gelohnt.

Mark X.

„Dead Chickens Warehouse Inc.“, Schinkestraße 2, Berlin 44. Di. bis Fr. von 14 bis 18 Uhr 30, noch bis 3. September, und zwar mit diversen Veränderungsüberraschungen: So tritt in einer exotisch -erotischen Tanznummer zum Beispiel Pantera auf, die Schöne als Biest mit Vampirzähnen. Zu sehen ist die Show übrigens auch im DFF2-Fernsehen am 23.8. um 17 Uhr.